Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Uns alle beschäftigt in diesen Tagen die außergewöhnlich schwierige Situation in Syrien. Die Lage der Menschen ist katastrophal. Bereits über 100 000 Menschen haben ihr Leben verloren; 2 Millionen – so die Zahlen von heute Morgen – sind auf der Flucht. Es kann keinen Zweifel geben, dass es zu einem eklatanten Bruch des Völkerrechts durch den grausamen Einsatz von Chemiewaffen gekommen ist. Wir haben Bilder gesehen von Kindern, von Erwachsenen, die qualvoll gestorben sind. Ich glaube, wir sind uns einig, dass dies eine klare Antwort der internationalen Staatengemeinschaft erfordert. Deutschland hat sich mit Nachdruck dafür eingesetzt, dass der UN-Sicherheitsrat sich mit diesem Giftgaseinsatz befasst. Aber wir müssen feststellen, der Bundesaußenminister und ich gemeinsam, seitdem wir uns mit dem Syrien-Konflikt beschäftigen, dass der UN-Sicherheitsrat immer wieder blockiert ist, blockiert insbesondere auch durch eine sehr harte Haltung von Russland und China. Ich glaube, es ist unbestritten, dass wir nach diesem Tabubruch, der Verletzung der Chemiewaffenkonvention, nicht einfach zur Tagesordnung übergehen dürfen. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass die UN Inspekteure an den Ort der Tat schicken kann; das ist auch gelungen. Wir setzen uns jetzt dafür ein, dass logistisch alles getan wird, was getan werden kann, um die Untersuchung der Proben zu beschleunigen. Ich möchte dem Bundesaußenminister dafür auch ganz herzlich danken. Die Frage, was es bedeutet, nicht zur Tagesordnung übergehen zu dürfen, stellen sich natürlich alle. Es gibt Erwägungen, eine militärische Antwort zu geben. Sie haben dies von den Vereinigten Staaten von Amerika, Sie haben dies von Frankreich gehört. Wir sagen: Deutschland wird sich an einem militärischen Einsatz nicht beteiligen. Aber wir fügen hinzu: Wir wollen alles unternehmen, was uns in den verbleibenden Tagen möglich ist, um eine gemeinsame Antwort der internationalen Staatengemeinschaft zu finden. Es ist – ich muss das hier in diesem Hohen Hause so sagen – nicht sehr wahrscheinlich, dass dies gelingt, aber auch die kleinste Chance muss genutzt werden. Deshalb sind wir in permanenten Gesprächen mit all unseren Partnern, mit Russland. Deshalb werden wir auch das -G-20-Treffen nutzen und alles Erdenkliche tun, um doch noch zu einer gemeinsamen Haltung der internationalen Staatengemeinschaft zu kommen. Ich glaube, dies ist im Interesse aller, die hier in diesem Hause arbeiten. Glücklicherweise gibt es eine breite internationale Übereinstimmung darüber, dass der Syrien-Konflikt als Ganzes nur durch einen politischen Prozess gelöst werden kann. Deshalb haben wir bereits auf dem G-8-Treffen in Großbritannien, zu Beginn des Sommers, darüber gesprochen, dass es einer zweiten Konferenz in Genf bedarf. Auch diese Bemühungen werden wir fortsetzen; genauso setzt sich Deutschland natürlich gemeinsam mit den Vereinten Nationen auch in der internationalen Kontaktgruppe Freunde Syriens und anderen Gruppen permanent dafür ein, dass die Dinge einer Lösung zugeführt werden. Meine Damen und Herren, Deutschland hat sich mit über 340 Millionen Euro auch dafür eingesetzt, das Leid der Flüchtlinge zu lindern. Wir haben als erster EU-Mitgliedstaat 5 000 syrischen Flüchtlingen Aufnahme angeboten. Entschuldigung, ich finde, das ist ein erster Schritt. Vielleicht könnten wir uns gemeinsam dafür einsetzen, dass auch andere europäische Länder diesem Beispiel folgen. Wir wissen um die Verfolgung der Christen. Wir wissen um die Verfolgung anderer. Es täte uns allen gut. Ich sage aus diesem Anlass hier auch sehr deutlich: Es ist beschämend, dass Menschen, die sich traumatisiert von Bürgerkriegen oder wegen politischer Verfolgung hilfesuchend an Deutschland wenden, Anfeindungen von Unbelehrbaren in unserem Land ausgesetzt sind. Ich freue mich, dass es einen parteiübergreifenden Konsens gibt, gerade auch zu den Vorkommnissen in Berlin. Das ist wichtig und unabdingbar. Wir lehnen solche Anfeindungen ab, meine Damen und Herren. Wir haben gestern die Debatte über den Bericht des NSU-Untersuchungsausschusses verfolgt. Auch ich möchte seitens der Bundesregierung allen Mitgliedern dieses Ausschusses herzlich danken und sagen, dass wir die Empfehlungen natürlich umsetzen werden. Ich will hinzufügen: Gerade im Lichte dieser Debatte ist kein Platz für Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Rechtsextremismus oder Antisemitismus. Das ist unsere gemeinsame Haltung. Ich bin allen Bürgerinnen und Bürgern dankbar, die das zum Ausdruck bringen. Meine Damen und Herren, wir debattieren heute, am Ende einer Legislaturperiode, über die Situation in Deutschland. Die heutige Debatte gibt Gelegenheit, die vier Jahre dieser Legislaturperiode noch einmal Revue passieren zu lassen und einen Ausblick zu geben auf das, was notwendig ist. Ich glaube, wir alle können feststellen, dass es ungewöhnlich herausfordernde vier Jahre waren, mit Aufgaben, die wir am Beginn der Legislaturperiode so nicht vor uns sehen konnten. Wir hatten zu tun mit den Nachwirkungen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise. Wir sind in eine Euro-Schuldenkrise hineingeraten. Wir hatten die schrecklichen Ereignisse in Fukushima. Wir haben erfreulicherweise den Prozess der Übergabe der Verantwortung in Afghanistan. Wir sind nicht vorangekommen – so muss man es sagen – in dem Kampf gegen das iranische Nuklearprogramm. Wir haben mit Hoffnung und Spannung den arabischen Frühling verfolgt und sehen jetzt, wie schwierig der Prozess ist, der sich daran anschließt. Wir verfolgen die Lage in Ägypten. Wir beobachten die Dinge in Libyen. Wir sind in Mali dabei. Dies alles sind Herausforderungen, die sehr schwierig sind. Und: Vor wenigen Wochen hatten wir national eine Kraftprobe zu bestehen, nämlich die Bekämpfung einer Flut, wie wir sie eigentlich nur einmal im Jahrhundert erwarten. Jetzt mussten wir erleben, dass dieses zweimal in zehn Jahren passiert ist. Meine Damen und Herren, trotz all dieser Herausforderungen kann man sagen: Alles in allem waren es vier gute Jahre für Deutschland. Es waren vier gute Jahre für Deutschland; denn heute geht es vielen Menschen in Deutschland besser, als es ihnen vor vier Jahren gegangen ist. Die christlich-liberale Koalition möchte diese Arbeit fortsetzen, damit 2017 noch mehr Menschen sagen können: Uns geht es besser in unserem Land. – Das ist das Ziel unserer Arbeit. Meine Damen und Herren, wir sind vor vier Jahren aus dem tiefsten Wirtschaftseinbruch, einem Einbruch von 5 Prozent, herausgekommen. Wir haben darauf im Rahmen der Großen Koalition mit einem klugen Konjunkturprogramm geantwortet. Natürlich hat das zu einem starken Defizit in unserem Haushalt und damit zu mehr Verschuldung geführt. Die mittelfristige Finanzplanung für diese Legislaturperiode sah vor, dass wir neue Schulden in Höhe von 262 Milliarden Euro aufnehmen müssen. Ich darf Ihnen heute berichten, dass es 100 Milliarden Euro sind. 100 Milliarden Euro bedeuten auch eine Zunahme der Verschuldung. Aber dass wir von 262 Milliarden Euro auf 100 Milliarden Euro gekommen sind, ist ein sensationeller Erfolg. Wir werden 2014 einen strukturell ausgeglichenen Haushalt haben und ab 2015 beginnen können, Schulden zurückzuzahlen. Das ist ein Beitrag für unsere Kinder und Enkel. Darüber sind wir froh. Wir halten die im Grundgesetz für den Bund vorgesehene Schuldenbremse bereits seit 2012 ein. Wir konnten verzeichnen, dass die Steuergelder, die wir als Bund in dieser Legislaturperiode einnehmen, um 30 Milliarden Euro gestiegen sind. All das sind herausragende Ergebnisse. Wie konnte das gelingen, und warum ist das gelungen? Das ist das Werk vieler Menschen im Lande. Aber, meine Damen und Herren, es ist eben auch das Werk von kluger Politik, einer Mischung aus Ausgabendisziplin – schauen Sie sich die Haushalte an; die Ausgaben steigen nicht –, aus Entlastungen – wo immer das im Blick auf Wachstum möglich ist – und aus Zukunftsinvestitionen. Dieser Dreiklang hat dazu geführt, dass wir am Ende dieser Legislaturperiode 1,9 Millionen mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse haben als 2009, darunter 1,2 Millionen Vollzeitbeschäftigungsverhältnisse. Die Frauenerwerbstätigkeit hat ebenfalls zugenommen. 700 000 mehr Menschen im Alter von 60 bis 65 sind noch in Arbeit. Die Zahl der befristeten Arbeitsverhältnisse ist trotz der gestiegenen Zahl der Arbeitsverhältnisse konstant geblieben. Darüber hinaus haben wir vom Statistischen Bundesamt gehört, dass im August die Zahl der atypischen Arbeitsverhältnisse zum ersten Mal zurückgegangen ist. Ich sage ausdrücklich: Fast 3 Millionen Arbeitslose sind 3 Millionen zu viel. Dass wir aber diese Fortschritte erzielt haben und dass wir die höchste Beschäftigungsquote in Deutschland haben, die wir je hatten, ist ein Erfolg, meine Damen und Herren. Das macht Mut, weiterzumachen. Genau diesen Weg wollen wir weitergehen. Natürlich gibt es Löhne, die nicht akzeptabel sind. Deshalb haben wir die Leiharbeit sozial gemacht. Wir haben einen Mindestlohn vereinbart. Wir haben das, was bei den geltenden Rechtslagen früher möglich war, verhindert, nämlich dass Menschen aus einem unbefristeten Arbeitsverhältnis entlassen und dann im selben Betrieb als Leiharbeiter eingestellt und wieder eingesetzt wurden. Diesem Drehtüreffekt haben wir einen Riegel vorgeschoben. Das war eine wichtige und notwendige Maßnahme. Wir haben heute für 13 Branchen und 4 Millionen Erwerbstätige branchenspezifische Mindestlöhne vereinbart. Es gehört einfach zur Wahrheit dazu: Mindestlöhne sind in Deutschland bis jetzt nur von CDU-Kanzlern für allgemeinverbindlich erklärt worden. Rot-Grün hat an dieser Stelle gar nichts gemacht. In den nächsten Jahren liegt vor uns natürlich die Aufgabe, die Arbeitslosigkeit weiter zu senken. Ein großes Thema ist, dass es aus den Jahren, als wir keine ausreichende Zahl an Ausbildungsplätzen hatten, noch viele Jugendliche gibt, die keine Ausbildung haben. Deshalb werden wir forcieren, dass die 25- bis 35-Jährigen jetzt, wo der Ausbildungsmarkt sehr viel besser dasteht, eine zweite Chance bekommen und auch diese jungen Menschen eine Ausbildung bekommen. Denn wir wissen, dass das Risiko für Arbeitslosigkeit massiv sinkt, wenn eine Ausbildung absolviert wurde. Wir werden auch daran arbeiten, die Beschäftigung Älterer weiter zu stärken. Wir haben alle miteinander jahrelang den Fehler gemacht, Anreize dafür zu setzen, Menschen zu früh aus dem Erwerbsleben herauszudrängen. Wir haben jetzt zum ersten Mal wieder mehr Menschen zwischen 60 und 65 Jahren in Arbeit als solche, die schon aus der Arbeitswelt ausgeschieden sind. Angesichts des Wandels des Altersaufbaus unserer Gesellschaft müssen wir Älteren Chancen bieten, sonst wird die Rente mit 67 keine Akzeptanz finden. Aber wir können sie bieten. Deshalb werden wir genau auf diesem Weg weitermachen. Von 2002 bis 2008 gab es in Deutschland keinerlei Lohnsteigerungen. Seit 2009 haben wir die erfreuliche Entwicklung, dass die Menschen wieder höhere Bruttolöhne haben. Wir hätten es gern noch in diesem Jahr ermöglicht, dass die Menschen mehr Netto vom Brutto in der Tasche haben. Doch Sie haben verhindert, dass wir die kalte Progression bekämpfen, obwohl der Bund die meisten der Steuerausfälle übernommen hätte. Das müssen Sie den Facharbeitern, Meistern und Ingenieuren in Deutschland einmal erklären. Meine Damen und Herren, dies alles sind Erfolge der Bürgerinnen und Bürger, der Arbeitnehmer und der Unternehmer, aber es ist auch Folge kluger politischer Weichenstellungen. Es geht am 22. September um nicht mehr und nicht weniger als um die Frage, ob wir diesen Weg des Erfolges weitergehen oder ob wir grobe Fehler sehen müssen, die diese erfolgreiche Entwicklung wieder zunichtemachen. Das ist die Frage, vor der die Bürgerinnen und Bürger stehen. Der Staat nimmt so viele Steuern ein wie nie zuvor. Damit müssen wir auskommen. Ich sage auch: Damit können wir auskommen. Wenn wir Steuern erhöhen – das ist zumindest unsere Überzeugung; vieles spricht dafür –, dann gefährden wir Arbeitsplätze, weil wir genau die treffen, die Selbstständige sind, die Unternehmen führen, die Mittelständler sind. Sowohl die Erhöhung des Spitzensteuersatzes als auch die Einführung einer Vermögensteuer trifft das Rückgrat unserer Wirtschaft, den Mittelstand, demotiviert und motiviert nicht. Wir brauchen motivierte Unternehmerinnen und Unternehmer, damit mehr Arbeitsplätze entstehen. Das schafft nämlich nicht die Politik, sondern das schaffen sie. Steuererhöhungen würden deshalb dazu führen, dass wir höhere Steuersätze haben, weniger Arbeitsplätze und zum Schluss niedrigere Steuereinnahmen. Diesen Weg gehen wir gerade nicht. Wir konnten ja auch beobachten, welche Auswirkung die hohe Zahl der Beschäftigten auf die Situation der sozialen Sicherungssysteme hat. Bei der Rente werden wir den Weg der schrittweisen Einführung der Rente mit 67 weitergehen, weil es keine andere Antwort auf die veränderte Lage bezüglich des Altersaufbaus unserer Gesellschaft gibt. Es ist falsch, den Kopf in den Sand zu stecken, jetzt wieder kleine Abweichungen vorzunehmen. Das alles wird die junge Generation doppelt und dreifach bezahlen. Deshalb machen wir das nicht. Verlässlichkeit ist das Markenzeichen unserer Politik. Wir dürfen nie vergessen: Die Rente muss zweimal gerecht sein. Sie muss gerecht sein für die Älteren, aber sie muss auch gerecht sein für diejenigen, die sie heute mit ihren Leistungen erbringen müssen. Die Frage des Zusammenhalts der Generationen wird in den nächsten Jahren eine zunehmende Rolle spielen. Eine starke Gesellschaft ist nur eine Gesellschaft, in der die Generationen einander vertrauen und sich nicht überfordern. Natürlich sehen wir, dass angesichts der demografischen Entwicklung das Thema der Altersarmut eine wachsende Bedeutung haben wird. Deshalb haben wir genauso wie andere ein Konzept vorgelegt, in dem es heißt: Wer 40 Jahre gearbeitet hat, wer privat vorgesorgt hat, der soll Leistungen bekommen, eine Rente bekommen, die oberhalb der Grundsicherung liegt. Genau das werden wir umsetzen. Die Union setzt sich auch dafür ein – darüber muss man dann gegebenenfalls noch in Koalitionsverhandlungen sprechen –, die Anrechnung von Erziehungszeiten bei der Rente für Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, zu verbessern. Denn diese Frauen hatten keinen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz, keinen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, und die Gleichberechtigung in der Familie war auch noch nicht so entwickelt, meine Damen und Herren. Dies nehmen wir uns für die nächsten Jahre vor. Warum? Das kann ich ganz klar begründen: weil wir uns bis heute erst einmal ein Polster in der Rentenversicherung erarbeiten konnten. Wir konnten gegen Ihren Willen hier in diesem Hause die Rentenbeiträge senken und haben trotzdem Rücklagen, und deshalb können wir diesen Beitrag zur Gerechtigkeit gegenüber Frauen, die Kinder erzogen haben, leisten, meine Damen und Herren. Das geht aber nur, wenn die Beschäftigungssituation so gut bleibt, sonst können wir all das nicht schaffen. Jeder Mensch in unserer Gesellschaft hat ein Recht, in Würde zu altern. Deshalb ist die Pflege von zentraler Bedeutung. Wir haben im Pflegebereich einen Mindestlohn eingeführt. Wir haben ein Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz eingeführt, nach dem die Demenzkranken zum ersten Mal Leistungen erhalten; 650 000 Menschen erhalten mehr Leistungen. Wir haben dafür auch die Pflegeversicherungsbeiträge erhöht. Ich trage hier nur Fakten vor, und da ist schon so ein Geschrei. Sie können es offensichtlich gar nicht aushalten, dass man Ihnen sagt, was alles beschlossen wurde. Das ist ja unglaublich! 2,5 Millionen Menschen in Deutschland sind pflegebedürftig. Zwei Drittel von ihnen werden von Verwandten und Angehörigen gepflegt. Das sind die stillen Helden unserer Gesellschaft, meine Damen und Herren, und ihnen gebührt ein großes Dankeschön. Wir wissen, dass die Aufgaben damit nicht erledigt sind. Deshalb werden wir angesichts einer in den nächsten Jahren steigenden Zahl von Menschen, die pflegebedürftig sein werden, die Leistungen erweitern müssen. Wir können nicht versprechen, dass die Beiträge kon-stant bleiben. Wir müssen uns in der nächsten Legislaturperiode auch mit einem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff beschäftigen. Ja, selbstverständlich. – Meine Damen und Herren, ich habe mich sehr intensiv damit auseinandergesetzt. Die Kommissionsarbeiten, die uns dazu vorgelegt wurden, hatten nicht den Reifegrad – darüber habe ich mit dem Gesundheitsminister ausführlich gesprochen –,dass man es den Betroffenen hätte zumuten können, in neue Bewertungen hineingedrängt zu werden, weil nicht klar war, ob manche Menschen zum Schluss weniger Leistungen erhalten würden. Das gibt es mit uns nicht, meine Damen und Herren, und das ist ein Beitrag zu einer guten Pflegeversicherung gewesen. Jeder Mensch in unserem Land hat ein Anrecht – darauf sind wir stolz –, die Gesundheitsversorgung zu bekommen, die er braucht. Wir haben deshalb an einigen Stellen nachsteuern müssen, was die Situation der Apotheken anbelangt, was die Versorgung der ländlichen Räume mit Ärzten anbelangt. Die Patientenrechte wurden gestärkt. Wir werden auch in den nächsten Jahren damit zu tun haben. Wir haben jetzt die Berichte über abgelehnte Leistungen und Ähnliches gehört. Wir gehen solchen Vorwürfen nach. Wir sorgen dafür, dass jeder die gleiche medizinische Behandlung bekommen kann. Das ist unser Anspruch. Insoweit wird uns das Gesundheitssystem weiter beschäftigen. Aber ich will auch sagen: Deutschland hat ein gutes Gesundheitssystem, und auch hier gilt allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die dort tätig sind, unser herzlicher Dank. Ich glaube, wir sind uns einig, dass Familien der Kern unserer Gesellschaft sind. Wir vertreten die Politik, dass Familien selbst entscheiden sollen, wie sie leben wollen. Deshalb werden wir keine Kürzungen beim Ehegattensplitting vornehmen. Deshalb werden wir auch nicht zwischen Jüngeren und Älteren unterscheiden, sondern überlassen das den Familien. Das halten wir für eine Unterstützung der Familien. Wir haben seit 2007 in Deutschland 820 000 neue Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren geschaffen. Dies ist ein großes Gemeinschaftswerk von Kommunen, Ländern und Bund. Der Bund hat sich hierfür eingesetzt, obwohl er nicht zuständig ist, weil wir dies für eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe halten. Wir werden uns auch dauerhaft an der Finanzierung der Betreuungskosten beteiligen. Dies halten wir für notwendig. Mit dem Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ist die Wahlfreiheit für Familien nämlich massiv gestärkt worden. In diesem Zusammenhang haben wir im Sinne der Wahlfreiheit auch das Betreuungsgeld eingeführt. Wir werden übrigens weiterhin an der Versorgung mit Kitaplätzen arbeiten müssen, weil der Bedarf steigen wird und weil auch die Ansprüche an die Betreuungszeiten und Öffnungszeiten steigen werden. Das ist der gesellschaftlichen Entwicklung geschuldet. Deshalb werden wir diesen Prozess weiter begleiten. Meine Damen und Herren, wir haben in Forschung und Bildung investiert – mehr als jede Bundesregierung zuvor, 13 Milliarden Euro mehr –, weil wir der tiefen Überzeugung sind, dass gute Bildung die Grundlage unseres Wohlstands ist. Wir werden in den nächsten Jahren die Dinge natürlich weiterentwickeln müssen. Ich nenne die Exzellenzinitiative, die Hightech-Strategie. Wir haben einen Qualitätspakt Lehre auf den Weg gebracht, damit die Ausbildung an den Hochschulen besser wird. Wir haben den Hochschulpakt umgesetzt. Der Bund unterstützt die Schaffung zusätzlicher Studienplätze. Heute gehen mehr als 50 Prozent eines Jahrgangs an Universitäten oder Fachhochschulen. Vor diesem Hintergrund sage ich: Wir werden in den nächsten vier Jahren eher wieder einen Blick auf die berufliche Ausbildung legen müssen. Wir müssen diese zweite Säule stärken, weil sie Deutschland stark gemacht hat. Das wird eine der Aufgaben sein. Mein Ziel ist es auch, in der nächsten Legislaturperiode wieder einen Ausbildungspakt unter Einbeziehung der Gewerkschaften zu schließen. Ich glaube, sie gehören in einen solchen Ausbildungspakt hinein. Meine Damen und Herren, wir haben in dieser Legislaturperiode aus gesamtgesellschaftlicher Überzeugung die Kommunen entlastet, und zwar um mehr als 20 Milliarden Euro, indem wir die Grundsicherung und das -Bildungspaket für Hartz-IV-Empfänger übernommen haben. Dies ist ein Beitrag dazu, dass Kommunen handlungsfähiger werden. Ich glaube, dass jeder, der die Dinge beobachtet, weiß, dass der Bund damit etwas unglaublich Wichtiges gemacht hat und gerade die Kommunen entlastet hat, in denen sehr viele Menschen arbeitslos sind oder schwierige Erwerbsbiografien haben, sodass sich später ein Grundsicherungsanspruch ergeben würde. Wenn man mit Oberbürgermeistern spricht, so stellt man fest, dass sie dies sehr zu schätzen wissen. Auch dafür mein Dankeschön. Wir werden uns in der nächsten Legislaturperiode auch mit der Eingliederungshilfe für Behinderte beschäftigen müssen. Hier braucht es ein einheitliches Bundesgesetz. Auch darüber gibt es Gespräche mit den Ländern und große Einigkeit. Meine Damen und Herren, wir haben zum ersten Mal seit langem einen breiten gesellschaftlichen Konsens über unsere Energiepolitik. Die Ereignisse von Fukushima haben dazu geführt, dass sich auch die christlich-liberale Koalition dafür entschieden hat, die Laufzeit der Kernkraftwerke in Deutschland zu verkürzen und auf 2022 zu begrenzen. Ich glaube, das war absolut korrekt. Ich sage noch einmal: Die Ereignisse in Fukushima haben uns dazu gebracht. Wir haben damals eigentlich in großer Übereinstimmung alle Gesetze verabschiedet bis hin zu einem Endlagersuchgesetz. Das ist ein großer Erfolg. Ich weiß gar nicht, warum Sie sich darüber nicht mit freuen können. Das ist übrigens eines Ihrer Probleme, dass Sie sich nicht über die Entwicklungen in Deutschland freuen können; und das mögen die Menschen nicht. Es ist unbestritten, dass wir damit vor einer großen Herausforderung stehen. Aber die Welt ist der Überzeugung: Wenn ein Land das schaffen kann, dann Deutschland. Allerdings ist es notwendig, dass wir die Bezahlbarkeit des Stroms in das Zentrum unserer Bemühungen stellen. Das ist doch gar keine Frage. Ich stehe auch nicht an, zu sagen: Ja, ich habe auf der Grundlage umfangreicher Prognose-Studien in diesem Hohen Hause gesagt, die EEG-Umlage wird in der Größenordnung nicht über 3,5 Cent steigen. Wir haben dann eine Entwicklung erlebt, im Übrigen auf der Grundlage eines Gesetzes zum Ausbau der Photovoltaik, das Herr Gabriel insbesondere noch gut kennen müsste, die eine ungeheure Dynamik des Ausbaus der erneuerbaren Energien mit sich gebracht hat. Das führt dazu, dass heute 25 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien gewonnen werden. Das führt dazu, dass die erneuerbaren Energien keine Nische in der Stromerzeugung mehr sind, sondern Teil der Gesamterzeugung. Das führt dazu, dass wir vor völlig neuen Problemen stehen. Wir haben uns zwischen Ministerpräsidenten und Bundesregierung auf eine Arbeitsstruktur verständigt, die auch gut funktioniert, jedenfalls außerhalb der Wahlkämpfe. Aber wir konnten eine substanzielle EEG-Novelle nicht erreichen. Deshalb ist eine der ersten Aufgaben der nächsten Legislaturperiode, das Erneuerbare-Energien-Gesetz zu novellieren, damit die Dynamik der Kostenentwicklung gestoppt wird. Wir wissen, dass es Deutschland auf Dauer nur gut gehen kann, wenn es Europa gut geht. Wir haben in diesen vier Jahren eine schwere Krise erlebt, eine Verschuldungskrise, auch eine nicht gute Bankensituation und eine Krise der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit. Im Kern konnte diese Krise entstehen, weil in Europa über Jahre nicht die Verlässlichkeit geherrscht hat, die wir uns eigentlich versprochen hatten. Deshalb will ich hier noch einmal deutlich machen: Dazu konnte es nur kommen, weil immer wieder Absprachen gebrochen wurden, weil in den Euro-Raum – auch von meinem Vorgänger, dem Bundeskanzler Schröder – Länder wie Griechenland aufgenommen wurden und weil der Stabilitätspakt gebrochen wurde. So hat sich über Jahre eine Krise aufgebaut, die dann im Moment der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise voll ausgebrochen ist. Mit dieser Krise müssen wir jetzt umgehen. Wir betreiben eine Politik der Stabilisierung des Euro, die davon ausgeht: Der Euro ist gut für unser Land, für unsere Arbeitsplätze, für unseren Wohlstand. Deshalb unterstützen wir die Euro-Rettung. Weil es immer an Verlässlichkeit gefehlt hat, ist es jetzt wichtig, dass wir klare Prinzipien haben. Das Prinzip unserer Euro-Hilfe für Länder, die in Schwierigkeiten sind, heißt: Solidarität und Eigenleistung sind zwei Seiten einer Medaille. Leistung und Gegenleistung, das ist das Prinzip, nach dem wir handeln. Das können wir gerne aufnehmen, weil Sie das immer so gerne zitieren. „Kein Cent für die Griechen“ – richtig. Kein Cent für die Griechen, solange die Griechen nicht bereit waren, Eigenleistungen und Reformen zu vollbringen; weil das sonst keinen Sinn hat, weil die Solidarität sonst ins Leere läuft. Deshalb ist das Beharren auf diesem Prinzip richtig gewesen. Meine Damen und Herren, es ist ja paradox: Sie haben nahezu allen Programmen in diesem Hause zugestimmt – bei Griechenland waren Sie noch nicht so weit –, die sich mit der Euro-Rettung befasst haben. Wir haben gemeinsam einen Wachstumspakt verabschiedet. Wir haben für einen gemeinsamen Haushalt in -Europa gearbeitet. Wenn man allem zugestimmt hat, ist es doch eigentlich gar nicht sinnvoll, jetzt hier so ein Geschrei zu entfachen. Ich kann nur sagen: Wir müssen diesen Weg weitergehen. Wir können aber nicht sicher sein, dass der Weg mit Ihnen so weitergegangen wird; denn Sie sprechen von gemeinsamen Schuldentilgungsfonds und Euro-Bonds. Wir sagen: Es wird nicht gut werden, wenn nicht Haftung und Durchgriff und Entscheidung in einer Hand liegen. Deshalb wird es das mit uns nicht geben. Wir werden jetzt auf dem G-20-Gipfel wieder einen Schritt auf dem Weg zur Regulierung der Finanzmärkte gehen. Wir sind in diese schwierige Lage gekommen, weil es Exzesse der Banken gab, weil die Staaten nicht mehr die Hüter der Ordnung waren. Wir haben umfangreiche nationale und europäische Regelungen eingeführt. Wir wissen, dass vieles nur international entschieden werden kann. Das Treffen der 20 führenden Industrieländer am Donnerstag und Freitag in Russland wird einen weiteren Fortschritt mit sich bringen, was die Bekämpfung der Steuerhinterziehung anbelangt. Das Prinzip des automatischen Informationsaustauschs zwischen den verschiedenen Ländern wird von all diesen Ländern unterstützt werden. Wir werden uns mit Maßnahmen befassen, die von der OECD ausgearbeitet wurden, mit denen wir der Steuervermeidung begegnen wollen, das heißt der Tatsache, dass multilaterale Konzerne heute an vielen Stellen überhaupt keine Steuern mehr zahlen. Das muss in Zukunft unterbunden werden. Ich füge hinzu: Wir kommen leider zu langsam voran bei der Regulierung der Schattenbanken. Ich sage: Wenn wir hier keine entsprechenden Ergebnisse erzielen, dann machen sich die G 20 lächerlich. Wir alle haben uns vor Jahren versprochen, dass wir jeden Finanzplatz, jeden Finanzmarktakteur und jedes Finanzmarktprodukt regulieren. Uns ist das bei den Banken gelungen. Bei den Schattenbanken gibt es schon wieder Verschleppungstendenzen. Deutschland wird mit Entschiedenheit dagegen vorgehen, genauso wie der Bundesfinanzminister mit Entschiedenheit für die Einführung einer Finanzmarkttransaktion-steuer kämpft, meine Damen und Herren. Deutschland ist so stark, weil sich die Mehrzahl der Menschen, der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland für dieses Land einsetzt. Politik kann nur das gestalten, was von den Menschen erarbeitet wurde. Deshalb sagen wir: Wenn wir ein solidarisches Land bleiben wollen, dann müssen wir diejenigen, die jeden Tag zur Arbeit gehen, jeden Tag ihre Kinder erziehen, sich jeden Tag um ihre Verwandten kümmern, jeden Tag ehrenamtlich tätig sind, jeden Tag für unser Land Verantwortung wahrnehmen – ganz selbstverständlich –, mit unserer Politik stärken, statt sie zu schwächen. Das ist das Prinzip der christlich-liberalen Koalition. Auf diesem Weg werden wir weitermachen, für mehr Arbeitsplätze und mehr Wohlstand. Herzlichen Dank. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Nicht die Weltwirtschaft stand zu Beginn des Treffens der G8-Staats- und Regierungschefs in Nordirland im Mittelpunkt, sondern die Tragödie in Syrien. Mehr als 93.000 Menschen sind nach Angaben der Vereinten Nationen inzwischen dem Bürgerkrieg in Syrien zum Opfer gefallen. 1,6 Millionen Syrer sind auf der Flucht. Seit vielen Monaten erleben wir, dass die Vereinten Nationen dieser Katastrophe mehr oder weniger tatenlos zusehen müssen, dass sie im Grunde handlungsunfähig, wenn nicht gar ohnmächtig sind. In dieser verzweifelten Lage, die zunehmend auch zu einer Bedrohung der ganzen Region wird, hat sicher jeder von uns Verständnis, wenn unsere Freunde und Partner in Amerika, in Großbritannien und in Frankreich zum Beispiel überlegen, Teilen der syrischen Opposition auch mit Waffenlieferungen zu helfen. Ob das tatsächlich ein erfolgversprechender Weg wäre, ist eine völlig andere Frage. Die Risiken wären aus meiner Sicht jedenfalls kaum abzuschätzen. Aber Verständnis für den Wunsch, dem Töten in Syrien endlich wirkungsvoll zu begegnen und dem Treiben des Assad-Regimes ein Ende zu machen, hat sicher jeder, jedenfalls jeder, der ein Herz hat. Ich habe beim G8-Gipfel in Nordirland unmissverständlich deutlich gemacht, dass Deutschland schon aus rechtlichen Gründen keine Waffen in Bürgerkriegsgebiete liefert, so auch nicht nach Syrien. Aber ich habe ebenso unmissverständlich deutlich gemacht, dass Deutschland weiter alles in seiner Macht Stehende tun wird, den Menschen in Syrien einen Ausweg aus der Katastrophe zu ermöglichen. Dazu ist in Nordirland ein erster Schritt gelungen, klein genug, aber immerhin ein erster Schritt. Zum einen haben alle G8-Staaten, also auch Russland, mit Blick auf die Genfer Konferenz einmütig zur Bildung einer Übergangsregierung mit Exekutivgewalt aufgerufen. Das heißt, das syrische Volk soll seine zukünftige Regierung selbst bestimmen. Damit zeigt auch Russland, dass es sich eine friedliche Zukunft in Syrien nunmehr auch ohne das Assad-Regime vorstellen kann. Wie gesagt, das war nur ein kleiner Schritt nach vorn, aber immerhin einer in die richtige Richtung, der der Genfer Konferenz ein klares Ziel gibt. Zum anderen haben wir uns gemeinsam dafür ausgesprochen, dass die Vereinten Nationen vor Ort, also in Syrien, den Einsatz von Chemiewaffen untersuchen. Die Untersuchungskommission muss jetzt Zugang nach Syrien bekommen, damit sie so schnell wie möglich dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ihre Ergebnisse vorlegen kann. Die Not der Menschen in Syrien ist unermesslich groß. Ihre Lage ist unerträglich. Um ihnen wenigstens etwas zu helfen und auch den von der Flüchtlingswelle besonders betroffenen Nachbarstaaten Libanon, Jordanien und der Türkei bei der Bewältigung dieser humanitären Katastrophe zur Seite zu stehen, haben wir auf dem G8-Gipfel über 1,1 Milliarden Euro an zusätzlicher humanitärer Hilfe zugesagt. Allein 200 Millionen Euro hiervon wird Deutschland zusätzlich zu den schon geleisteten 164 Millionen Euro tragen. Die Diskussion zur Lage in Syrien hat einmal mehr gezeigt, welch hohe Bedeutung manchen Unkenrufen zum Trotz die Runde der G8 unverändert hat; denn nichts geht über das direkte persönliche Gespräch. Dafür bieten G8-Gipfel einen ausgezeichneten Rahmen. Das gilt selbstverständlich auch für die Fragen der Weltwirtschaft. So hat dieser Gipfel in Nordirland der Steuerhinterziehung den Kampf angesagt. Wir haben ein klares Bekenntnis dazu abgegeben, dass der automatische Informationsaustausch ausgebaut werden muss und somit internationale Standards geschaffen werden müssen. Wir sind noch einen Schritt weiter gegangen, denn wir haben in Nordirland ein klares Zeichen gegen aggressive Steuervermeidung multinationaler Konzerne gesetzt. Damit unterstützen wir die Arbeiten der OECD, die hierzu Empfehlungen ausarbeitet. Die G8 wird dieses Thema auf dem G20-Gipfel im September geschlossen weiter vorantreiben; denn wenn sich alle G20-Staaten diesen OECD-Standards anschlössen – darauf arbeiten wir hin –, hätten wir einen großen Schritt getan, um die Steuervermeidung großer multinationaler Konzerne beträchtlich einzuschränken. Deutschland wird in Sankt Petersburg beim G20-Treffen entschieden dafür werben. Großkonzerne müssen wie alle anderen auch einen fairen Beitrag zum Steueraufkommen leisten. Dazu müssen Steuerschlupflöcher geschlossen werden, so zum Beispiel die Möglichkeit der sogenannten doppelten Nichtbesteuerung. Das heißt, es muss Schluss damit sein, dass die Besteuerung von Großkonzernen weder beim Konzernsitz noch bei der Produktionsstätte erfolgt. Ich glaube, das ist im Sinne der Bürgerinnen und Bürger in allen Ländern, in denen diese Konzerne tätig sind. Ganz oben auf der Tagesordnung der G8 in Nordirland stand auch die Förderung des freien Handels. Wir setzen uns unverändert für Fortschritte in der Doha-Runde und für den weiteren Abbau protektionistischer Maßnahmen ein. Letztes Jahr haben sich die Staaten auf dem G20-Gipfel in Mexiko dazu verpflichtet, bis 2014 keine neuen Handelshemmnisse zu errichten und bestehende abzubauen. In Nordirland haben wir in der G8 nun vereinbart, diese Absprache gemeinsam in der G20 über 2014 hinaus zu verlängern. Ein geradezu einzigartiges Signal für freien globalen Handel haben in Nordirland die Europäische Union und die USA gesetzt; denn wir haben den Gipfel genutzt, um den Startschuss für Verhandlungen über eine Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft zu geben. Das Ergebnis wird die größte Freihandelszone der Welt sein. Von ihr profitieren werden die Weltwirtschaft insgesamt und auch die europäische Wirtschaft; davon bin ich zutiefst überzeugt. Deshalb ist die Förderung des freien, fairen und offenen Handels auch Teil der Wachstumsagenda der Europäischen Union. Genau diese wird auch Thema des heute beginnenden Rates der europäischen Staats- und Regierungschefs sein. Um Europa, insbesondere die Euro-Zone, zu neuer Stärke zu führen, sind unverändert erstens ehrgeizige strukturelle Reformen in den Mitgliedstaaten und zweitens eine engere wirtschaftspolitische Koordinierung zur Stärkung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion erforderlich. Das Ergebnis werden mehr Wachstum und damit auch mehr Beschäftigung in Europa sein. Das hat uns im Übrigen auch bei den Beratungen zum mehrjährigen Finanzrahmen 2014 bis 2020 geleitet. Alle Beteiligten müssen sich jetzt entschlossen für eine Einigung hierzu einsetzen. Deutschland, die deutsche Bundesregierung jedenfalls, tut dies. Im Dialog mit dem Parlament müssen endlich die letzten Hürden überwunden werden. Aktuell laufen dazu in Brüssel Gespräche. Ich kann nur sagen: Wenn wir vor dem Sommer nicht zu einem Abschluss dieser mittelfristigen Finanzplanung kommen, dann wird Ergebnis sein, dass Tausende von Menschen in Europa ihren Arbeitsplatz verlieren, weil keine Planbarkeit zum Beispiel für ESF-Mittel und anderes möglich ist. Die Zeit drängt. Deshalb muss hier eine Einigung erzielt werden. Ein gestärktes Europa der Stabilität und des Wachstums hat den französischen Staatspräsidenten François Hollande und mich geleitet, als wir am 30. Mai unsere Vorschläge für den heute beginnenden Rat vorgelegt haben. Es kann gar nicht oft genug gesagt werden: Wachstum und Haushaltskonsolidierung sind keine Gegensätze; im Gegenteil: sie bedingen einander. Nebenbei bemerkt: In Deutschland haben wir doch gezeigt, wie das geht. Wer heute nicht glaubt, dass wir in der nächsten Legislaturperiode den Menschen etwas von den sprudelnden Steuereinnahmen zurückgeben und gleichzeitig den Schuldenberg abbauen werden, muss nur auf die Bilanz der Bundesregierung der letzten vier Jahre schauen. Wir haben gezeigt: Wir können das. Wir können beides. Wir haben Familien und Unternehmen entlastet, in Bildung und Forschung investiert und das Anwachsen des Schuldenbergs gestoppt. Sie haben dies gestern an der Vorlage des Haushaltes für 2014, der eine strukturelle Null aufweist, gesehen; am Ende der Großen Koalition hatten wir eine Neuverschuldung von 50 Milliarden Euro. Wir können beides: Wachstum und Haushaltskonsolidierung. Was wir einmal geschafft haben, das schaffen wir in der nächsten Legislaturperiode wieder. Wir lassen Taten sprechen. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, wollen angesichts der höchsten Steuereinnahmen, die es jemals in der Bundesrepublik Deutschland gab, nichts anderes, als wieder die Leistungsträger in der Mitte unserer Gesellschaft belasten – das ist Ihre Politik –, wir definitiv nicht. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns. Wir sind überzeugt, dass Investitionen zu neuen Arbeitsplätzen führen. Neue Arbeitsplätze führen zu neuen Steuereinnahmen und zu mehr Geld in den Sozialkassen. Mehr Steuereinnahmen führen wieder zu solideren Finanzen. – Das ist der Kreislauf, auf den wir setzen. Der hat sich bewährt. Weil Wachstum und Haushaltskonsolidierung zusammengehören, ist es auch gut, dass das Gesetz zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrages, der die Euro-Staaten zu dauerhaft soliden Staatsfinanzen verpflichtet, vom Deutschen Bundestag und vom Bundesrat gemeinsam verabschiedet wird. Das heißt: Wir alle bekennen uns zu diesem Fiskalvertrag, zu seiner innerstaatlichen Umsetzung und damit zu soliden Finanzen. Ich weiß nicht, warum das, was für Deutschland gilt, nicht auch für Europa gelten soll. Deshalb haben wir für ganz Europa diesen Fiskalvertrag erarbeitet. Weil Haushaltskonsolidierung und Wachstum zusammengehören, haben wir im vergangenen Jahr auch den Pakt für Wachstum und Beschäftigung geschlossen, den wir auf diesem Europäischen Rat noch einmal überprüfen werden. Heute, ein Jahr nach Beschluss des Paktes, sehen wir erste wichtige Ergebnisse, sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene. Spanien zum Beispiel hat wichtige Arbeitsmarktreformen angestoßen. Auch Frankreich hat diesen Weg im Sozialpartnerdialog eingeschlagen. Die Haushaltsdefizite werden trotz des schwierigen Umfeldes abgebaut. Viele Länder arbeiten an Reformen der Aus- und Weiterbildung, führen Programme der Privatisierung durch und verbessern die Effizienz der staatlichen Institutionen. Es ist völlig klar: Diesen Weg müssen wir weitergehen. Er verbessert die Bedingungen für private Investitionen, und damit entstehen weitere Chancen für Wachstum und Beschäftigung. Im Rahmen des erneuerten Stabilitäts- und Wachstumspaktes gibt die Kommission in jedem Jahr den einzelnen Mitgliedstaaten länderspezifische Empfehlungen. Ich werde mich beim Europäischen Rat dafür einsetzen, dass diese länderspezifischen Empfehlungen auch von allen angenommen werden, selbst wenn nicht jeder mit jedem Detail einverstanden ist; denn diese Empfehlungen weisen in Richtung von mehr Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedstaaten. Eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit, ausgerichtet an den weltweit Besten, ist der Schlüssel für Europa zum Wachstum. Natürlich macht uns die hohe Arbeitslosigkeit, insbesondere die hohe Arbeitslosigkeit der jungen Menschen in Europa, größte Sorgen. Es führt überhaupt kein Weg daran vorbei, dass wir mehr tun müssen, um gerade jungen Menschen den Einstieg in das Berufsleben zu ermöglichen. Wir müssen ihnen Zukunftschancen geben, weil sie unsere Zukunft sind. Das sind wir der Jugend Europas schuldig. Wir sind es ihr deshalb besonders schuldig, weil sie, die Jugend, keinerlei Schuld an den Versäumnissen der vergangenen Jahre hat. Die Förderung der Jugendbeschäftigung ist zu Recht ein Schwerpunkt des Europäischen Rates. Es steht außer Frage: Die Verpflichtungen, die die Mitgliedstaaten hierzu auf europäischer Ebene eingegangen sind, müssen so schnell wie möglich umgesetzt werden. Natürlich müssen die sechs Milliarden Euro aus der mittelfristigen Finanziellen Vorausschau verfügbar sein, damit wir etwas tun können. Sie werden im Übrigen nicht gleichermaßen auf alle Jahre der Vorausschau verteilt, sondern können schnellstmöglich in den ersten beiden Jahren ausgegeben werden. Die Bundesregierung unterstützt das Ziel der Jugendbeschäftigungsgarantie, also das Ziel, jungen Menschen unter 25 Jahren eine Arbeitsstelle guter Qualität, eine weiterführende Ausbildung oder einen hochwertigen Ausbildungs- oder Praktikumsplatz anzubieten. Es ist in diesem Zusammenhang auch eine gute Nachricht, dass wir uns politisch auf konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Berufsanerkennung in Europa einigen konnten. Das heißt, dass künftig Qualifikationen in vielen Berufen schneller und leichter anerkannt werden, wenn man in einem anderen Land der Europäischen Union arbeiten möchte. Weil aber alle europäische Unterstützung nichts bringt, wenn die Mitgliedstaaten ihre Hausaufgaben nicht machen, kann gar nicht oft genug darauf hingewiesen werden, dass sie es sind, die in erster Linie gefordert sind, die notwendigen Reformen durchzuführen, um Hindernisse bei der Einstellung von jungen Menschen zu beseitigen und Beschäftigungschancen zu verbessern. Ich habe deshalb zu einer Konferenz zur Förderung der Jugendbeschäftigung am 3. Juli 2013 nach Berlin eingeladen, an der neben der litauischen EU-Ratspräsidentin Grybauskaite – Litauen hat ab Montag die EU-Ratspräsidentschaft – und neben den Spitzen der EU-Institutionen viele weitere EU-Staats- und Regierungschefs sowie die Arbeitsminister und die Chefs der Arbeitsverwaltungen teilnehmen werden. Auf Einladung von Bundesministerin von der Leyen werden zuvor die europäischen Arbeitsministerinnen und Arbeitsminister mit den europäischen Sozialpartnern zusammenkommen. Wir werden mit dem European Round Table, den größten Unternehmen Europas, sprechen. Bei dieser Konferenz geht es auch darum, wie wir die sechs Milliarden Euro, die zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit zur Verfügung stehen, am effizientesten ausgeben. Wir wollen die jeweiligen nationalen Erfahrungen – Deutschland hat hier breite Erfahrungen, gerade aus der Zeit der deutschen Einheit – zur Förderung der Jugendbeschäftigung miteinander teilen und die erfolgversprechendsten Maßnahmen identifizieren. Deutschland und andere Mitgliedstaaten, wie etwa Österreich, die Niederlande oder Dänemark, können die guten Erfahrungen weitergeben, die zum Beispiel mit den dualen Ausbildungssystemen, aber auch mit anderen Arbeitsmarktprogrammen über Jahre und Jahrzehnte gesammelt werden konnten. Die Bundesarbeitsministerin steht hierzu bereits in bilateralen Kontakten mit einigen europäischen Partnern. Darüber hinaus sind durch die im letzten Jahr erfolgte Kapitalerhöhung der Europäischen Investitionsbank um zehn Milliarden Euro gute Projekte in vielen Mitgliedstaaten verwirklicht worden. Auch nicht abgerufene Mittel aus den europäischen Strukturfonds sollen gezielt zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit genutzt werden. Das geschieht bereits und führt zum Beispiel dazu, dass die Mittel jetzt sehr viel besser ausgegeben werden, sodass wir für das Jahr 2013 auf der Ebene der Europäischen Union einen umfangreichen Nachtragshaushalt benötigen. Deutschland leistet aber auch bilateral Unterstützung, zum Beispiel über den Sachverstand der KfW, die etwa in Spanien die dortige Förderbank finanziell unterstützen wird. Ähnliche Projekte hat Wolfgang Schäuble mit Portugal und Griechenland vereinbart, genauso der Bundeswirtschaftsminister. Zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen gehört nämlich auch, dass wir über eine intelligente Regulierung verfügen und die Bürokratie, die es in Europa gibt, abbauen. Wir freuen uns sehr, dass die Kommission im September einen Vorschlag machen will, wo auf europäischer Ebene Bürokratie abgebaut werden kann. Eine zentrale Frage, die sehr viele Unternehmen in europäischen Ländern spüren, ist, wie europäische Banken das Vertrauen der Investoren zurückgewinnen können; denn die hohen Zinssätze, gerade für mittelständische Unternehmen, und die Schwierigkeiten bei der Kreditvergabe haben im Kern etwas damit zu tun, dass in einigen Ländern das Vertrauen der Investoren in die Banken nicht gegeben ist. Alle Bemühungen dienen deshalb dem Ziel einer Bankenunion, speziell erst einmal einer gemeinsamen Bankenaufsicht, die wir vereinbart haben. Dank des Einsatzes von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble haben wir bei der Richtlinie zur Bankenabwicklung heute Morgen eine Einigung im Rat erzielt, die vorsieht, dass bei der Bankenabwicklung in Zukunft primär die Gläubiger und Eigentümer zur Verantwortung gezogen werden. Wir kommen weg davon, dass die Steuerzahler immer wieder für die Banken geradestehen müssen. Das ist das, was wirklich notwendig ist. Neben einer engeren, transparenteren und strengeren Aufsicht über die Banken und den notwendigen Regelungen dazu ist eine weitere wesentliche Voraussetzung für den Erfolg der Euro-Zone, dass es eine engere Wirtschaftsunion gibt. Ich habe in diesem Hause bereits darauf verwiesen, dass Jaques Delors und andere schon vor der Inkraftsetzung des Euro darauf hingewiesen haben, dass eine gemeinsame Währung nur funktionieren kann, wenn es mehr Wirtschaftskoordinierung gibt. Die Mitgliedstaaten müssen nicht die gleiche Wirtschaftspolitik verfolgen; aber sie müssen sich für das Gelingen besser abstimmen. Dazu haben Frankreich und Deutschland vorgeschlagen, beim Europäischen Rat einen zweistufigen Ansatz für das zweite Halbjahr zu verankern. Wir wollen heute und morgen festlegen, dass wir beim Europäischen Rat im Oktober in einem ersten Schritt über den Inhalt und die Substanz einer gestärkten wirtschaftspolitischen Koordinierung beraten. Die Mitglieder einer Währungsunion müssen zu einer gemeinsamen Bewertung dessen kommen, was wir als Wirtschafts- und Währungsunion und deren Mitgliedstaaten tun müssen, damit unsere Volkswirtschaften dauerhaft auf Wettbewerbsfähigkeit, nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung ausgerichtet sind. Tatsache ist, dass das gemeinsame Verständnis, welche Voraussetzungen eigentlich notwendig sind, damit Wachstum entsteht, bis heute nicht vorhanden ist. Nur mithilfe einer solchen gemeinsamen Bewertung wird es gelingen, eine gemeinsame langfristige Wachstumsstrategie zu entwickeln. Eine Beratung über die Fragen, welche Indikatoren wichtig sind – zum Beispiel Lohnstückkosten, Investitionen in Forschung und vieles andere mehr –, und welche Politikbereiche dafür entscheidend sind, muss gut vorbereitet werden. Damit müssen wir uns auf den Sachverstand auch anderer Institutionen stützen, zum Beispiel der Kommission oder der OECD. Wenn wir eine solche gemeinsame Bewertung haben, können wir einen zweiten Schritt gehen, nämlich verbindliche Verabredungen zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission zu treffen. Wir haben heute länderspezifische Empfehlungen. Dabei handelt es sich aber um keine verbindlichen Verabredungen; sie beruhen auch nicht auf einem gemeinsamen Verständnis von dem, was wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit ist. Solche Verabredungen müssten dann auch von den nationalen Parlamenten gebilligt werden, damit sie legitimiert sind. Konkret soll das also heißen: vertragliche Vereinbarungen für Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum. In diesem Zusammenhang halte ich einen an enge Bedingungen geknüpften Solidaritätsmechanismus für denkbar, zum Beispiel in Form eines Fonds für die Euro-Zone. Ich sage aber ganz klar: Immer wenn in Europa von Solidaritätsmechanismen gesprochen wird, passiert es, dass diese sofort erhöht und ausgeweitet werden, und zum Schluss spricht man nicht mehr über die Parameter für die Wettbewerbsfähigkeit, sondern nur noch über eine neue Finanzquelle. Und das genau wird es mit Deutschland nicht geben. Die Bundesregierung besteht darauf, dass die Probleme, die Europa und die Euro-Zone haben, an der Wurzel angepackt und Schritt für Schritt gelöst werden, damit die Währungsunion endlich eine Stabilitätsunion wird. Dafür brauchen wir in Europa eine solide Finanzpolitik, Wachstumsförderung durch Strukturreformen, mehr Investitionen in Bildung und Forschung. Und genau das leistet auch die mittelfristige Finanzielle Vorausschau. Wir wollen, dass Europa stärker aus der Krise hervorgeht, als es in sie hineingegangen ist. Deutschland hat es geschafft, stärker aus der internationalen Finanzkrise herauszukommen, als es in sie hineingegangen ist. Und Europa wird und muss dies auch schaffen. Dies ist im Übrigen zutiefst im deutschen Interesse; denn Deutschland wird es auf Dauer nur gutgehen, wenn es auch Europa gutgeht. Wir dürfen nie vergessen: Im Kern haben wir es bei der europäischen Staatsschuldenkrise mit einer Vertrauenskrise zu tun, und die ist noch längst nicht ausgestanden. Wir dürfen keine Sekunde nachlässig werden, nur weil der Euro nicht mehr jeden Tag die Schlagzeilen beherrscht. Wir dürfen auch keinesfalls Fehler der Vergangenheit wiederholen, indem wir unsere eigenen Regeln nicht einhalten oder sie im Zweifel etwa dehnen. Nur wenn wir unsere Aufgaben und unsere Grundlagen tat-sächlich ernst nehmen, wird Europa auch in Zukunft ein Kontinent des Wohlstands und der sozialen Sicherheit sein. Es geht in diesem Jahr um nicht mehr und nicht weniger als um die Rolle Europas in der Welt und um die Frage: In welchem Wohlstand können die Bürgerinnen und Bürger morgen und übermorgen noch leben? Deshalb muss diese Aufgabe gut und gründlich erfüllt werden. Deshalb freue ich mich darüber, dass wir beim Europäischen Rat mit Lettland auch über den Beitritt eines Landes zur Euro-Zone zum 1. Januar 2014 sprechen können, das gezeigt hat, wie es möglich ist, mit einem Reformkurs eine tiefe Wirtschaftskrise zu überwinden. Ich freue mich auch darüber, auf welcher Grundlage sich der Europäische Rat mit dem möglichen Beginn von Beitrittsverhandlungen mit Serbien befassen wird. Ohne Zweifel haben Serbien und Kosovo in den letzten Monaten bei der Normalisierung ihres Verhältnisses entscheidende Fortschritte gemacht. Aber nun müssen die Vereinbarungen auch wirklich umgesetzt werden. Erst nach einer Bestätigung der Implementierungsfortschritte im Dezember kann die erste Beitrittskonferenz im Januar 2014 zusammentreten. Der Normalisierungsprozess muss fortgesetzt werden, und vor dem Beitritt Serbiens zur Europäischen Union muss es zu einer vollständigen Normalisierung kommen. Ich freue mich auch darüber, dass wir zur Eröffnung eines nächsten Verhandlungskapitels mit der Türkei ein Ergebnis gefunden haben, das einerseits ermöglicht, dass die Beitrittsverhandlungen im Herbst fortgesetzt werden können, mit dem andererseits aber angesichts der Entwicklung in den letzten Wochen in der Türkei nicht so getan wird, als sei nichts geschehen. Es ist maßgeblich unserem Bundesaußenminister Guido Westerwelle zu verdanken, dass dieses Ergebnis, das beide Anliegen berücksichtigt, erzielt werden konnte. Dieses Ergebnis macht deutlich: Die Türkei ist ein wichtiger Partner, doch unsere europäischen Werte wie Demonstrationsfreiheit, Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und Religionsfreiheit gelten immer. Sie sind für uns nicht verhandelbar. Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin mehr denn je überzeugt: Wenn Europa weiter aus seinen Fehlern der Vergangenheit lernt, und zwar auf allen Gebieten, wenn Europa diesen Weg konsequent fortsetzt, dann werden wir unsere Ziele erreichen: eine starke und stabile Wirtschafts- und Währungsunion, eine starke und stabile Europäische Union als Ganzes, mit – ab Sonntagnacht – 28 Mitgliedstaaten, weil dann auch Kroatien zu uns gehören wird. Unser Ziel ist ein starkes, ein gestärktes Europa der Stabilität und des Wachstums, ein Europa, das so auch in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts seine Werte und seine Interessen behaupten kann. Dafür wird diese Bundesregierung weiter mit ganzer Kraft arbeiten, und dafür bitte ich Sie um Ihre Unterstützung. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit dem Hochwasser der letzten Wochen traf uns in Deutschland eine Katastrophe gewaltigen Ausmaßes. War am 29. Mai 2013 in ersten Meldungen noch einfach von einer Hochwasserlage in verschiedenen Regionen Deutschlands die Rede, so erwuchs daraus binnen weniger Tage eine Hochwasserkatastrophe, die die Pegelstände von 2002 zum Teil noch übertroffen hat. Sommerlicher Dauerregen verursachte innerhalb von nur elf Jahren eine zweite sogenannte Jahrhundertflut. Hauptbetroffen sind die Flussgebiete von Elbe und Donau. Aber auch zahlreiche andere Gebiete, etwa an Saale, Mulde, Havel und Neckar, hatten und haben unter dieser Katastrophe schwer zu leiden. Der erste Katastrophenalarm wurde am 1. Juni im Landkreis Leipzig ausgelöst. Wenige Tage später, am 5. Juni, gab es bereits in 43 Gebietskörperschaften Katastrophenalarm, am Ende in insgesamt 56 Städten oder Landkreisen. In acht Bundesländern mussten Menschen ihre Häuser und Wohnungen verlassen. Der Höchststand der Evakuierungen war am 10. Juni erreicht: fast 85 000; das entspricht ungefähr der Einwohnerzahl einer Großstadt. Am härtesten war Sachsen-Anhalt betroffen, mit 40 000 Menschen, die ihre Häuser verlassen mussten. Die Gesamthöhe der Schäden können wir derzeit überhaupt noch nicht absehen. Beinahe sprachlos haben auch mich die Bilder gemacht, die sich mir bei meinen Besuchen vor Ort boten, aber auch die Eindrücke, die ich in Gesprächen mit Betroffenen gewonnen habe, in Passau, in Pirna, in Greiz, in Bitterfeld, in Wittenberge, in Lauenburg, in Hitzacker: Menschen, die vor ihren verwüsteten Wohnungen, Häusern oder Geschäften stehen, in ihrer Fassungslosigkeit und Verzweiflung, ihrer Angst, manche zum zweiten Mal innerhalb von elf Jahren, aber eben auch Menschen mit ihrem Mut und ihrer Entschlossenheit, sich trotz allem nicht unterkriegen zu lassen. Das sind Eindrücke, die ich nicht vergessen werde, und deshalb muss geholfen werden, schnell, direkt, unbürokratisch, nachhaltig. Genau das tun wir: In der Stunde der Not ist unser Land fest entschlossen und in der Lage, schnell und unmittelbar zu helfen. So hat sich jetzt das nach 2002 für genau solche Katastrophen eingerichtete Gemeinsame Melde- und Lagezentrum von Bund und Ländern bewährt. Dort gingen über 40 Hilfsanfragen der Länder ein, nach Sandsäcken, Transportleistungen, Hochleistungspumpen oder Personal. Was benötigt wurde, das wurde vermittelt, teilweise auch aus unseren Nachbarländern, wie zum Beispiel über 800 000 Sandsäcke aus Dänemark. Die Einsatzkräfte der Bundeswehr – es handelte sich zeitweise um den größten Einsatz, den sie je hatte –, des Technischen Hilfswerks und der Bundespolizei haben unermüdlich angepackt. Kluge Menschen haben ausgerechnet, dass Bundeswehr, THW und Bundespolizei insgesamt über 200 000 Einsatztage geleistet haben. Noch um ein Vielfaches mehr waren es aber bei den Angehörigen der Feuerwehren und aller anderen Hilfsorganisationen, die meisten von ihnen ehrenamtliche Helfer. Hier hat sich das Ehrenamt erneut als eine zentrale Stütze unserer Gesellschaft erwiesen. Herzlichen Dank! Ich möchte auch ein Dankeschön an all die Betriebe sagen, die die ehrenamtlichen Helfer freigestellt und ganz unbürokratisch reagiert haben. Nicht zu vergessen sind die Freunde, Verwandten und Nachbarn, die geholfen haben, die wildfremden Menschen, die plötzlich da waren und mit angepackt haben, oder die Jugendlichen, die sich über die sozialen Netzwerke zum Helfen verabredet haben. Wir erleben einmal mehr: In der Stunde der Not stehen die Menschen in Deutschland zusammen. Sie packen gemeinsam an, sie stehen einander bei. Wir sind ein starkes Land. Der Zusammenhalt ist eine der größten Stärken unseres Landes. Allen Helferinnen und Helfern danke ich von dieser Stelle aus noch einmal ganz herzlich, im Namen der ganzen Bundesregierung und – ich bin sicher – auch im Namen des ganzen Hohen Hauses. Sie haben mit Ihrem persönlichen Einsatz für Ihre Mitmenschen noch Schlimmeres verhindert, Sie haben Leben gerettet. Das ist gelebte Solidarität. Zu dieser gelebten Solidarität leistet auch die Politik ihren Beitrag. Deshalb haben Bund und Länder über die akute Bewältigung der Katastrophe hinaus weitere Schritte unternommen: Erstens. Die Bundesregierung hat den Ländern sehr früh ihre Unterstützung bei den Soforthilfen zugesagt: Zu jedem Landes-Euro geben wir einen Bundes-Euro dazu. Über die Ausgestaltung ihrer Soforthilfeprogramme entscheiden die Bundesländer selbst. Das geht nur direkt vor Ort. Die Soforthilfen sollen Privathaushalten zugutekommen, etwa bei Schäden an Hausrat oder bei Ölschäden an Wohngebäuden. Sie sollen die erste Not der betroffenen Menschen lindern, sei es, um sich Kleidung zu besorgen, oder, um die Wohnung wieder bewohnbar zu machen. Mit den Soforthilfen soll auch Gewerbetreibenden und Unternehmen unter die Arme gegriffen werden, damit die Arbeit möglichst schnell wieder aufgenommen werden kann. Im Bereich der kommunalen Infrastruktur in den betroffenen Gemeinden dienen die Soforthilfen der schnellen Schadensbeseitigung, insbesondere an Schulen, Leitungen und Straßen. Die Menschen vor Ort müssen so schnell wie möglich wieder mobil sein, ihrer Arbeit nachgehen können und zur Normalität zurückfinden. Dringend gebraucht werden die Soforthilfen auch für die zum Teil massiv betroffene Landwirtschaft, wo ganze Ernten vernichtet wurden. Mit den Soforthilfen sollen die am stärksten betroffenen Betriebe schnell wieder auf die Beine kommen. Dies wird durch weitere Maßnahmen begleitet, zum Beispiel durch ein Förderprogramm der Landwirtschaftlichen Rentenbank. Insgesamt rechnen wir derzeit mit einem Bundesanteil an den Soforthilfen in Höhe von 400 Millionen Euro. Zweitens. Neben der Soforthilfe muss ein zügiger Wiederaufbau gewährleistet werden; denn rasche Soforthilfen lindern zwar die erste Not, doch können sie nicht das ganze, das massive Ausmaß der Schäden beheben, die das Hochwasser bei Privathaushalten, Unternehmen und in der Infrastruktur von Bund, Ländern und Gemeinden verursacht hat. Für einen zügigen Wiederaufbau sind deshalb erhebliche finanzielle Anstrengungen notwendig. Entschädigungen und Wiederherstellung der Infrastruktur können nicht mit den bislang geplanten und gegenwärtig verfügbaren Haushaltsmitteln finanziert werden. Deshalb machen wir jetzt mit dem Aufbauhilfegesetz den Weg frei für einen Aufbauhilfefonds. Wie schon nach der Hochwasserkatastrophe 2002 wird auch dieser Fonds als Sondervermögen des Bundes errichtet. Das gibt uns die erforderliche Flexibilität. So können wir bedarfsgerecht und zielgenau die notwendigen Mittel bereitstellen. Die Mittel dieses Fonds wird der Bund vorfinanzieren. Der Fonds hat ein Ausgabevolumen von 8 Milliarden Euro. Das erforderliche Gesetzgebungsverfahren wollen und werden Bund und Länder bis zum 5. Juli abgeschlossen haben. Der genaue Schlüssel zur Verteilung der Hilfsmittel an die vom Hochwasser betroffenen Bundesländer wird dann mit einer Verordnung festgelegt. Dies kann erst geschehen, wenn wir die Schäden besser abschätzen können, aber dann muss und wird es geschehen. Der Fonds wird gemeinsam von Bund und Ländern getragen, die so ihrer gemeinsamen Verantwortung angesichts dieser nationalen Aufgabe auch finanziell gerecht werden. Die Kosten für den Wiederaufbau der zerstörten Bundesinfrastruktur, vor allem der beschädigten Straßen und Bahnschienen, übernimmt der Bund allein. Wir rechnen allein hier mit 1,5 Milliarden Euro. Für die anderen Leistungen wird es eine hälftige Aufteilung der Finanzierung geben. Die Länder werden ihren Anteil an den Kosten des Aufbaufonds, also Tilgung und Zinsen, über einen Zeitraum von 20 Jahren erbringen. Alle Bundesländer, direkt betroffen oder nicht, beteiligen sich an der Finanzierung. Auch hier stehen Bund und Länder solidarisch zusammen. Der Bund wird den neuen Fonds nicht über Steuererhöhung vorfinanzieren, sondern über eine höhere Nettokreditaufnahme in diesem Jahr. Das können wir verantworten, und zwar guten Gewissens, weil der Bund durch den erfolgreichen Konsolidierungskurs der Bundesregierung solide Finanzen vorzuweisen hat. Trotz der Hochwasserhilfen und der erhöhten Nettokreditaufnahme im Rahmen des notwendigen Nachtragshaushalts in diesem Jahr halten wir die Schuldenregel weiterhin mit deutlichem Abstand ein. Morgen – das nur zur Information – beraten und beschließen wir im Kabinett einen strukturell ausgeglichenen Haushalt für 2014. Dank allen, die daran mitgewirkt haben! Planungssicherheit besteht für die Länder und Kommunen jetzt auch über die künftige Höhe der sogenannten Entflechtungsmittel. Diese erhalten die Länder übergangsweise für zusätzliche Investitionen, vor allem in die Infrastruktur in den Bereichen Bildung, Gemeindeverkehrswege oder Wohnraumförderung. Auch dies kann natürlich dazu beitragen, die durch das Hochwasser zerstörte Infrastruktur wiederaufzubauen. Wir haben vereinbart, diese Mittel ab dem Jahr 2014 bis zu ihrem vorgeschriebenen Auslaufen im Jahr 2019 auf dem aktuellen Niveau fortzuschreiben. In diesem Zusammenhang haben sich die Länder bereit erklärt, dem Entwurf eines Gesetzes zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrages im Bundesrat zuzustimmen. Das ist eine gute Nachricht. Damit bringen wir ein wichtiges Anliegen Deutschlands innerstaatlich zum Abschluss. Drittens. Über die Soforthilfen und den Aufbaufonds hinaus wird die Bundesregierung auch ihre weiteren bereits begonnenen Maßnahmen zur Bewältigung der Folgen der Hochwasserkatastrophe fortführen. Weil gerade auch viele Unternehmen schweren Schaden erlitten haben, hat die Bundesregierung am 5. Juni 2013 ein Zehn-Punkte-Programm verabschiedet, das zu einem großen Teil schon umgesetzt ist. So hat die Kreditanstalt für Wiederaufbau ihre Förderprogramme für hochwassergeschädigte Unternehmen, Private und Kommunen geöffnet. Sie bietet Kredite zu einem Signalzins von 1 Prozent an. Das Gesamtvolumen der zinsverbilligten Kredite liegt bei circa 100 Millionen Euro. Zur Überwindung kurzfristiger Liquiditätsprobleme hilft die KfW außerdem mit der Möglichkeit der Stundung von Zinsen und Tilgungsleistungen sowie weiteren Flexibilisierungen. Die KfW hat hierzu eine Hotline geschaltet. Außerdem stützen wir in Not geratene Unternehmen schnell und wirksam durch ein Sonderprogramm zur Kurzarbeit. Über die bereits bestehenden Möglichkeiten hinaus übernehmen wir zusätzlich die Sozialversicherungsbeiträge für die Beschäftigten in der Kurzarbeit. So können Betriebe ihre qualifizierten Beschäftigten halten und müssen sie nicht wegen Arbeitsausfällen entlassen. Noch etwas kommt hinzu: Arbeitnehmer, die bei Aufräumarbeiten helfen, verlieren nicht ihren Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Manche Betriebe mussten oder müssen vorübergehend schließen und haben Einbußen zu verkraften. Sie brauchen Zeit, um die notwendigen Sanierungs- und Finanzierungsgespräche zu führen. Diese Zeit geben wir den Betrieben. Mit einer Änderung der Insolvenzordnung werden wir die gesetzliche Frist von drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit aussetzen, innerhalb der ein Unternehmen sonst einen Insolvenzantrag stellen müsste. Kein sanierungsfähiger Betrieb soll durch das Hochwasser in die Insolvenz gezwungen werden. Die vom Hochwasser Betroffenen können auch mit steuerlichen Erleichterungen rechnen. Maßnahmen aus einem mit den Ländern abgestimmten Rahmenkatalog können kurzfristig umgesetzt werden. Zehn Länder haben bereits entsprechende Maßnahmen aus diesem Katalog auf den Weg gebracht. Zu den wichtigsten Möglichkeiten für Steuererleichterungen gehören unter anderem die Anpassung der Steuervorauszahlungen, die Stundung fälliger Steuern, der Verzicht auf Vollstreckungsmaßnahmen und Säumniszuschläge, die Bildung steuerfreier Rücklagen und Abschreibungserleichterungen bei Ersatzbeschaffungen oder die steuerliche Berücksichtigung der notwendigen Aufwendungen für die Wiederbeschaffung von Hausrat und Kleidung. Außerdem wollen wir die Spendenbereitschaft erhöhen. Hierzu hat das Bundesfinanzministerium den Ländern einen sogenannten Spendenerlass zur Abstimmung vorgelegt. Er enthält eine Vielzahl steuerlicher Verfahrenserleichterungen im Bereich des Spendenrechts. Ich möchte allen, die mit ihren Spenden dazu beigetragen haben, die Not zu lindern, ein herzliches Dankeschön sagen. Viertens. Bund und Länder bekommen auch aus Europa Unterstützung. So hat die EU-Kommission bereits deutlich gemacht, dass der Solidaritätsfonds der Europäischen Union für Hilfen zur Verfügung steht. Der Fonds wurde nach dem Hochwasser 2002 geschaffen. Er hat bereits damals gute Hilfe geleistet, und er wird es auch heute wieder tun. Auch die Europäische Investitionsbank steht bereit, die Finanzierung von Wiederaufbaumaßnahmen zu unterstützen. Die Bundesregierung wird sich weiter dafür einsetzen, europäische Instrumente schnell und wirkungsvoll zum Einsatz zu bringen. Auch die Möglichkeiten im Bereich Strukturförderung müssen genutzt werden, um auf die Herausforderungen der Flut gezielt reagieren zu können. Fünftens. Im Bundesinnenministerium haben wir einen Stab „Fluthilfe“ eingesetzt, der unter anderem die aufseiten des Bundes erforderliche Steuerung und Koordinierung der Soforthilfe oder die Abwicklung des Fluthilfefonds übernimmt. Das Bundesinnenministerium hat im Internet eine Fluthilfeseite mit wichtigen Informationen für die Bürger freigeschaltet. Auch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe hat auf seiner Internetseite einen Bürgerservice zur aktuellen Hochwasserlage mit Informationen über Hilfsangebote, Vorsorge und Möglichkeiten zur Selbsthilfe eingerichtet. Sechstens. So wichtig alle nationalen und europäischen Hilfen auch sind, es ist unumgänglich, unsere Hochwasservorsorge zu verbessern, und zwar deutlich. Wir müssen vorausschauend handeln. Wir müssen aus den sogenannten Jahrhunderthochwassern, die tatsächlich aber im Rhythmus weniger Jahre auftreten, die notwendigen Konsequenzen für die Zukunft ziehen. Dabei ist zu differenzieren. Zum einen: Was hatten wir eigentlich geplant, konnte aber nicht umgesetzt werden, weil die Planungsverfahren zu kompliziert waren oder zu lange gedauert haben? Zum anderen: Wo brauchen wir neue Konzepte? Hierzu müssen alle ihren Beitrag leisten: Bund, Länder, Kommunen, Anwohner, Landwirte, Betriebe, alle. Der Aus- und Neubau von Deichen ist wichtig, aber er allein reicht nicht aus, um mit extremem Hochwasser fertig zu werden, wie wir es jetzt ja erlebt haben. Ganz -banal: Das Wasser muss ja irgendwohin. Deshalb benötigen wir zum Beispiel mehr großräumige Rückhalteflächen. Als erfolgreiches Beispiel hat sich die Überflutung der Havelpolder in Brandenburg erwiesen, die effektiv zur Senkung der Pegelstände geführt hat. Flüsse wie Donau und Elbe kann man nicht abschnittsweise betrachten. Sie enden nicht an Landesgrenzen. Mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten habe ich deshalb vereinbart, dass wir für Investitionen in den vorbeugenden Hochwasserschutz eine abgestimmte Strategie entwickeln. Ich begrüße sehr, dass sich der Bundesumweltminister mit seinen Kolleginnen und Kollegen der Länder dieses Themas angenommen hat und dies vorantreiben will. Ich begrüße auch sehr, dass die Koalitionsfraktionen eigene Vorschläge hierzu entwickelt haben. Herr Präsident, meine Damen und Herren, es ist noch zu früh für ein Fazit. Stattdessen gilt es, den Betroffenen weiterhin bei den Aufräumarbeiten zu helfen, rasche Soforthilfe und einen zügigen Wiederaufbau zu gewährleisten und die langfristig erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um uns alle noch besser vor solchen Katastrophen schützen zu können. Nach allem, was wir in den letzten Tagen an Solidarität bei den Bürgerinnen und Bürgern wie auch in der Politik, und zwar über Landes- und Parteigrenzen hinweg, erleben durften, bin ich zuversichtlich, dass wir diese nationale Herausforderung gemeinsam bewältigen werden. Unser Land stellt einmal mehr unter Beweis, dass der so oft bemühte Begriff der Solidarität für uns keine Phrase ist. Ich finde, wir dürfen ein wenig stolz auf das sein, was unser Land ausmacht und stark macht. Denn immer dann, wenn es darauf ankommt, sind wir füreinander da. Herzlichen Dank. Sehr geehrter Herr Präsident Kim, liebe Frau Mohn, sehr geehrte Ministerinnen und Minister, ganz besonders begrüße ich meinen Kabinettskollegen Dirk Niebel, sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich, bei Ihnen zu sein und möchte Sie auch namens der Bundesregierung ganz herzlich begrüßen. Unser Grundgesetz beginnt mit dem Satz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Dieser ebenso kurze wie klare Satz bestimmt die Grundlage unseres Lebens und den Auftrag politischen Handelns. Ich sage sehr oft: Dieser Satz aus unserem Grundgesetz ist etwa nicht nur für die Deutschen oder für die Europäer gedacht, sondern er ist global zu verstehen. Mit jedem Menschen, der hungert, mit jedem Kind, das nicht zur Schule gehen kann, mit jeder Familie, die vor Gewalt oder Krieg aus ihrer Heimat fliehen muss, wird uns klar, was unsere Aufgaben und unser Auftrag sind – insbesondere auch in der Entwicklungszusammenarbeit. Wir wissen, dass globale Herausforderungen eben nicht von Nationalstaaten allein gemeistert werden können. Sie erfordern globales Handeln. Handlungsträger sind internationale Organisationen gleichermaßen wie Staaten und private Akteure. Wir spüren, wenn man zum Beispiel Budgetberatungen oder sonstige Diskussionen im Deutschen Bundestag verfolgt, dass es als Nation und als nationaler Entscheidungsträger gar nicht so einfach ist, Verantwortung auch auf eine internationale Ebene zu übertragen. Diesen Prozess durchleben wir. Wir durchleben ihn, weil wir Globalisierung mitgestalten wollen. Das setzt auch Vertrauen zwischen den Akteuren voraus. Wenn Entwicklungszusammenarbeit unter diesen Voraussetzungen erfolgreich sein soll, dann ist, glaube ich, vor allem zweierlei notwendig: die Entwicklung gemeinsamer Maßstäbe und Zielvorstellungen sowie ein unglaublich hohes Maß an Koordination. Ich bin sehr dankbar dafür, dass sich das Deutsche Weltbankforum dieser Fragen annimmt. Deshalb möchte ich auch ganz herzlich den Organisatoren danken: der Bertelsmann Stiftung, dem Berliner Büro der Weltbank und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Ich bin sehr gerne der Einladung gefolgt, um einige Grundzüge der deutschen Entwicklungszusammenarbeit aus meiner Perspektive vorzustellen – nicht etwa, weil der Minister das nicht auch könnte, sondern weil ich durch meine Anwesenheit zeigen möchte, dass Entwicklungszusammenarbeit eine Querschnittsaufgabe ist, dass es dafür zwar ein Ministerium gibt, aber dass es auch eine besondere Aufgabe für die ganze Bundesregierung ist. Wir haben immer wieder versucht – das ist ja auch ganz selbstverständlich –, aus Erfolgen, aber auch Fehlern der Vergangenheit Schlüsse zu ziehen und unsere Projekte und Ansätze in der Entwicklungszusammenarbeit immer wieder kritisch zu hinterfragen. Im Mittelpunkt der Entwicklungspolitik steht nicht nur die Summe des zur Verfügung stehenden Geldes; ich will das nicht klein reden, aber wir müssen – und das ist ganz selbstverständlich – auch nach der Wirksamkeit der eingesetzten Mittel fragen. Diese Fragestellung gewinnt an Bedeutung. Das ist auch gut so. Dahinter steht ein ständiger Lernprozess. Dieser Lernprozess ist vor allem auch dadurch gefördert worden, dass sich die Weltgemeinschaft auf Millenniumsziele verständigt hat. Damit ist klar geworden, was unsere Aufgabenstellung ist und was wir erreichen wollen. Das bedeutete für manche Akteure in der Entwicklungszusammenarbeit sicherlich ein Umdenken. Denn wenn die Weltgemeinschaft sich solche Ziele gegeben hat, dann sind das die Prioritäten, an denen man sich orientieren muss. Wir alle wissen: Der Weg, Menschen aus Armut und Elend zu befreien, ist steinig. Aber wir können immerhin sagen: Wir haben Fortschritte in der Entwicklungszusammenarbeit gemacht. Seit 1990 konnte sich fast eine Milliarde Menschen aus den Fesseln absoluter Armut befreien. Der Anteil der Menschen, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, hat sich halbiert. Auch bei der Grundschulbildung oder der Bekämpfung von Aids, Malaria und anderen Krankheiten verzeichnen wir deutliche Fortschritte. Aber wir wissen auch: Wir werden die Millenniumsziele bis 2015 nicht vollständig erreichen. Deshalb muss weitergearbeitet werden. Ich danke der Weltbank, weil sie ein wichtiger Impulsgeber ist. Sie haben sich auf Ihrer Frühjahrstagung ehrgeizige Ziele zur Beseitigung der absoluten Armut bis 2030 gesetzt. Ich glaube, Präsident Kim ist auch ein Mann der Tat und der praktischen Erfahrung. Umso besser ist es, dass Sie jetzt an der Spitze einer internationalen Organisation stehen, weil Sie wissen, wovon Sie reden und wie schwierig die notwendige Koordination ist, und weil Sie viel Verständnis für die Akteure haben. Auf dem Weg zur Erreichung der Ziele kommen wir nur voran, wenn wir einen Ansatz haben, bei dem die Teilhabe aller Bevölkerungsschichten im Mittelpunkt steht. Von oben herab Entwicklung zu befehlen oder sie einfach nur zu erwarten, kann nicht funktionieren. Es muss eine Aktivierung erfolgen. Tatsächlich nachhaltiges Wirtschaftswachstum ist nur denkbar, wenn es allen und nicht nur wenigen zugutekommt. Es freut mich, dass sich dieser Gedanke auch im Bericht der hochrangigen Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Millennium Development Goals wiederfindet. Es ist ja so – Sie in diesem Kreise wissen das –, dass wir auf der einen Seite diese Ziele haben. Wir werden sie nicht in allen Facetten erreichen. Daran müssen wir weiter arbeiten. Aber auf der anderen Seite müssen wir natürlich auch für die Zeit nach 2015 neue Ziele entwickeln. Eben dazu wurde eine Expertengruppe eingesetzt. Bundespräsident a.D. Horst Köhler ist für Deutschland in dieser Expertengruppe dabei gewesen. Ich habe mich neulich ausführlich mit ihm unterhalten. Ich glaube, dass diese Expertengruppe einen sehr guten und sehr interessanten Ansatz gefunden hat. Das zentrale Element der Empfehlungen dieser Expertengruppe ist die Verknüpfung der Entwicklungsziele mit dem Gedanken der Nachhaltigkeit. Das ist sehr wichtig, weil wir in internationalen Konferenzen immer wieder erlebt haben – sei es bei den Klimakonferenzen, sei es bei den Biodiversitätskonferenzen; also bei all den Diskussionen und Verhandlungen, die auf das Nachhaltigkeitsprogramm von Rio zurückzuführen sind –, dass uns die Entwicklungsländer, aber auch die Schwellenländer gesagt haben: Ihr setzt uns dauernd Vorschriften, wie nachhaltig wir mit natürlichen Ressourcen umgehen sollen; aber eigentlich wollt ihr unsere Entwicklung nicht. Daher ist, wie ich glaube, die Verbindung der ökologischen, ökonomischen und sozialen Dimensionen, die das Prinzip der Nachhaltigkeit umfasst, mit einem klaren Bekenntnis zur Entwicklung der noch nicht so weit entwickelten Regionen der Schlüssel, um erfolgreich zu sein. Die Aufgabenstellungen fallen in den einzelnen Regionen natürlich völlig unterschiedlich aus. Allen gemeinsam aber ist, dass wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Umwelt- und Ressourcenschutz sowie soziale Verantwortung sich gegenseitig bedingen; und das auch über Landesgrenzen hinweg. Nehmen wir als Beispiel den Klimawandel. Er kennt keine Ländergrenzen. Dürrekatastrophen und Überschwemmungen als Folgeerscheinungen ziehen erhebliche wirtschaftliche Folgen nach sich. Ich meine, wir haben zum Beispiel in Afrika dramatische Entwicklungen in Folge des Klimawandels. Wir können zwar nicht alles eins zu eins zuordnen. Aber selbst in Deutschland gibt es uns zu denken, dass wir innerhalb einer Dekade zweimal eine sogenannte Jahrhundertflut hatten. Das lässt auch uns zumindest nicht ruhig schlafen. Wir sehen jetzt, welche Schäden entstehen können und dass wir darauf nicht nur reagieren müssen. Das heißt, Vorsorge muss ein ganz natürlicher Gedanke sein. Wirtschaftliche Schwäche und soziale Not erhöhen die Versuchung, für quantitatives Wachstum um jeden Preis, auch ohne Rücksicht auf Klimaschutz, zu sorgen. Das heißt, die Gefahr ist groß, immer mehr in eine Spirale zu geraten. Wir wissen – bei allem, was wir an klimatischen Auswirkungen zu erleiden haben –, dass vor allem die ärmeren Länder betroffen sind. Dramatische Entwicklungen sehen wir vor allem dann, wenn in Gebieten Hungersnöte ausbrechen und die Menschen dazu gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Deshalb müssen wir beim Klimaschutz vorankommen. Ich zitiere im Zusammenhang mit dem Thema Klimawandel auch immer wieder gern den Stern-Report, der uns sagt, was passiert und welche Kosten entstehen, wenn wir nichts für den Klimaschutz tun. Es wird ja so oft gesagt, welche Kosten es verursacht, wenn wir etwas für den Klimaschutz tun. Aber wir müssen uns auch vergegenwärtigen, was passiert, wenn wir nichts tun. Ich begrüße sehr, dass Weltbankpräsident Kim einen integrierten Ansatz stark unterstützt. Er hat nachhaltiges Wachstum, Klima und Umweltschutz zu einem prioritären Anliegen gemacht. Gut ist auch – wir haben gerade beim Hereingehen darüber gesprochen –, dass Präsident Barack Obama gestern diesen Punkt erwähnt hat und ihn als ein wichtiges Anliegen auch der Vereinigten Staaten von Amerika benannt hat. Dieses prioritäre Anliegen soll in Zukunft auch stärker in den Weltbankprojekten Berücksichtigung finden; und das ist gut. Denn auf Dauer ist eine wirtschaftliche Entwicklung nicht denkbar, die auf Raubbau der Natur gründet. Heute leben etwas mehr als 7,1 Milliarden Menschen auf der Welt. 2050 werden es voraussichtlich über neun Milliarden sein. Jeder von ihnen hat ein Recht auf Versorgung mit Nahrung, Wasser, Energie und Rohstoffen. Deshalb brauchen wir einen Bewusstseinswandel. Denn wenn wir mehr verbrauchen als wir erwirtschaften, wenn wir mehr verbrauchen als nachwächst, dann verbrauchen wir Zukunft auf Kosten nachfolgender Generationen. Der Begriff Nachhaltigkeit wurde vor 300 Jahren in Deutschland geprägt – in einer Zeit, als in Deutschland Erzbergbau betrieben wurde. Plötzlich stellte man fest, dass man nicht mehr genug Holz zum Schmelzen des Erzes zur Verfügung hatte. Dann hat man gemerkt: Du kannst auf Dauer nur so viel Erz einschmelzen, wie du Holz hast, das nachwächst. Daraus ist der Nachhaltigkeitsgedanke erwachsen. Er passt in unsere heutige Zeit immer noch sehr gut. Obwohl er so einfach ist, haben die Menschen immer noch nicht gelernt, sich daran zu halten. Die Versuchung ist ja auch groß, möglichst schnell voranzukommen. Deshalb müssen wir immer wieder überzeugen und sagen: Es ist möglich – wir haben ja die Erfahrung in Deutschland gemacht –, Wachstum von Ressourcenverbrauch und Schadstoffausstoß zu entkoppeln. Allerdings sage ich auch: Wir, die Industrieländer, haben in dieser Frage schon sehr viel Schaden angerichtet. Deshalb sind wir als Industrieländer und hochentwickelte Länder auch dazu verpflichtet, die Technologieentwicklung voranzutreiben, mit der man Wachstum und Schadstoffausstoß voneinander entkoppeln kann. Es geht um Technologien zur Energieeinsparung und um regenerative Energien. Das sind Zukunftsmärkte und bedeuten auch neue Arbeitsplätze. Mit einigen anderen Fragen haben wir aber immer noch sehr zu tun. In Deutschland haben wir die beiden Faktoren Wirtschaftswachstum und Flächenverbrauch immer noch nicht so gut voneinander entkoppelt, wie uns das eigentlich gelingen müsste. Wir machen in Deutschland die Erfahrung, dass der Ausbau erneuerbarer Energien im Prinzip richtig ist, aber auch einen integrierten Ansatz erfordert. Wir haben in Deutschland im Augenblick ein Anreizsystem für den Ausbau von erneuerbaren Energien, das so gut funktioniert, dass wir Probleme mit dem großen Ausbauerfolg haben. Das heißt, wir müssen genauso schnell im Ausbau der Netze werden. Wir müssen Speichertechnologien entwickeln. Wir müssen dauerhaft grundlastfähige Kraftwerke zur Verfügung haben, wenn zu wenige erneuerbare Energien zur Verfügung stehen und die Speicherkapazitäten noch nicht ausreichend sind. Das heißt, in den Umbau unserer Energieversorgung haben wir viel zu investieren. Aber das bringt uns auch zukünftig Marktchancen. Ein Stück weit fallen jetzt eben auch Kosten dafür an, dass wir erst lernen müssen, wie man mit einem solchen Paradigmenwechsel einer Energiewende, mit einer Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien, umgeht. Andere müssen dies nicht alles nachmachen, sondern können von dem, was wir gelernt haben, durchaus profitieren. Bilaterale Zusammenarbeit wird in unserer globalisierten Welt immer mehr durch multilaterale Anstrengung ergänzt werden. Deshalb war die gemeinsame Reise von Präsident Kim und UN-Generalsekretär Ban Ki-moon in die Region der großen Seen in Afrika sicherlich ein gutes und wichtiges Signal. Den Willen der Vereinten Nationen, gemeinsam im Bereich der Entwicklung etwas voranzubringen, konnte man, glaube ich, gar nicht besser dokumentieren als durch eine solche gemeinsame Reise. Ich begrüße auch sehr, dass Sie sich mit dem IWF, mit Christine Lagarde, abstimmen, um Weltbank und IWF sozusagen kohärent einzusetzen. Oft schien es in der Vergangenheit einen Antagonismus zu geben: Der eine war der Gute, der „good guy“, und der andere war der „bad guy“. Ich will jetzt nicht beurteilen, wie das aufgeteilt war. Auf jeden Fall finde ich eine bessere Abstimmung sehr begrüßenswert. Wir haben es ja auch geschafft – ich habe sehr dafür geworben –, dass im Rahmen der G20 alle relevanten internationalen Organisationen mit dabei sind: von der OECD über die Weltbank, den IWF und die WTO, die Welthandelsorganisation, bis hin zur ILO, der Internationalen Arbeitsorganisation. Ich brauche nicht zu betonen, dass es mir am liebsten wäre, wir hätten auch im Rahmen der UN noch eine Organisation, die Umweltschutz und Nachhaltigkeit stärker symbolisieren würde als bisher. Ich habe seit der deutschen G8-Präsidentschaft 2007 die Chefs der internationalen Organisationen immer wieder einmal im Jahr zu mir ins Kanzleramt eingeladen. Am Anfang haben sie mich alle angeschaut und sich wohl gefragt: Was soll denn das jetzt, dass wir alle hierherkommen? Dadurch hat sich aber auch eine Atmosphäre der Gemeinsamkeit herausgebildet; und in der G20 zeigt sich jetzt, dass es ein gemeinsames Verantwortungsbewusstsein gibt und dass es gut ist, dass wir die Bedürfnisse und die Erwartungen der internationalen Organisationen auch in unsere nationalen Politiken mit einbeziehen. Entwicklungszusammenarbeit allein mit staatlichen und öffentlichen Institutionen wird nicht reichen – es kommt ja auch nicht von ungefähr, dass wir hier bei der Bertelsmann Stiftung sind. Vielmehr brauchen wir auch die Expertise und die ökonomische Erfahrung der Privatwirtschaft. Wenn Länder selber handlungsfähig sein wollen – das ist jedenfalls die Erfahrung der Bundesrepublik Deutschland –, dann wird das auf Dauer nur in Partnerschaft möglich sein. Wir nennen das Soziale Marktwirtschaft – eine Partnerschaft zwischen öffentlichem Sektor, privater Wirtschaft und Vertretungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Man hat jahrelang darüber geklagt – ich will nicht ausschließen, dass ich auch einmal unter denen war, die geklagt haben –, dass in Deutschland manches zu langsam vorangehe, dass manches umständlich sei. Aber wir haben auch gesehen, wie wichtig es gerade auch für die Überwindung der Folgen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise war, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Wirtschaft mit einzubeziehen. Die deutschen Gewerkschaften und die internationalen Gewerkschaften unternehmen jetzt sehr viele Anstrengungen, damit die Gesprächskultur und die gemeinsame Verantwortung für Entwicklungszusammenarbeit auch wirklich gelebt werden. Neben den G20-Treffen finden daher jetzt nicht nur Wirtschaftstreffen statt, sondern immer auch Treffen der internationalen Gewerkschaften. Das finde ich ausgesprochen wichtig. Unternehmen sind diejenigen, die investieren. Damit wird sozusagen auch klar, dass Staaten nicht alles bestimmen können. Es ist ganz wichtig, dass Entwicklungszusammenarbeit – Kofi Annan hatte das auch immer und immer wieder gesagt – gerade auch mit Unternehmensgründungen, mit einem Übernehmen von Verantwortung für andere Menschen verbunden ist. Der Staat wird niemals so viele finanzielle Ressourcen haben, mit denen sich der Wohlstand ganzer Länder garantieren ließe. Das ist nur mit einer prosperierenden privatwirtschaftlichen Tätigkeit möglich. Möglichst breit aufgeteilte wirtschaftliche Tätigkeiten sind auch ein Mittel gegen Korruption. Die Dinge werden transparenter, wenn die Menschen nachfragen und sich selber einbringen können. Wir brauchen dafür natürlich die richtigen Rahmenbedingungen. Wir haben an den tragischen Ereignissen in Bangladesch gesehen, dass es nicht akzeptabel ist, wenn es dramatisch schlechte Standards für Arbeitsbedingungen und für die Bezahlung gibt. Es ist ein Vorzug der neuen Medien, dass so etwas nicht mehr unbekannt bleibt, sondern hinterfragt wird. Daraus entstehen auch Selbstverpflichtungen, daraus entsteht mehr Verantwortungsbewusstsein in der Wirtschaft und daraus entsteht manchmal in den Industrieländern auch ein schlechtes Gewissen, wenn wir Stoffe an uns tragen, die unter Bedingungen produziert wurden, die vollkommen inakzeptabel sind. Meine Damen und Herren, wir brauchen sehr viel und möglichst breite Unterstützung aus allen Teilen der Gesellschaft, um allen Entwicklungszielen gerecht zu werden. Europa ist im Augenblick in einer ziemlich schwierigen Situation – Sie wissen das. Wir stehen natürlich vor der Frage: Kümmern wir uns erst einmal um uns selbst, kümmern wir uns um unsere europäischen Nachbarn; und was wird dann mit der Entwicklungszusammenarbeit, was wird mit unserem Engagement für andere? Wir erleben diese Diskussion in jedem Jahr bei den Haushaltsberatungen; Deutschland ist dabei wahrscheinlich nicht das einzige Land. Der Entwicklungsminister ist bei den Budgetberatungen immer einigermaßen ordentlich davongekommen, aber natürlich ist es auch spürbar, dass wir jetzt viel Engagement in unseren europäischen Nachbarländern haben. Ich persönlich wünsche mir zum Schluss noch zwei Dinge. Das eine ist, dass wir die Millennium-Entwicklungsziele, die wir bis 2015 noch nicht alle erreichen werden, nicht aus dem Auge verlieren, sondern dass wir daran weiterarbeiten, sie zu erreichen. Wenn ich mir afrikanische und auch einige asiatische Länder anschaue, kann ich feststellen, dass wir an einigen Stellen sehr gut vorankommen. Es hat aber natürlich auch keinen Sinn, für zehn Länder in Afrika alle Millennium-Entwicklungsziele überzuerfüllen und bei den restlichen 40 Ländern zufrieden zu sein und zu sagen: Da haben wir sie eben nicht erfüllt, aber im Durchschnitt ist es schon okay. Ich glaube vielmehr, Akzeptanz finden die Millennium-Entwicklungsziele zum Schluss in den einzelnen Ländern nur, wenn sie auch für das einzelne Land gelten. Wenn ich sagen würde „Passt mal auf, die Ziele gelten im Durchschnitt für Afrika, weshalb wir sie im Land x“ – ich nenne jetzt lieber kein Land, sonst nenne ich vielleicht ein gutes als Beispiel – „nicht mehr erreichen müssen, weil wir in fünf anderen Ländern schon so herausragende Ergebnisse haben“, dann würde die Bevölkerung des betreffenden Landes das nicht akzeptieren können. Das heißt, man muss darauf hinarbeiten, dass zum Schluss eigentlich in jedem der Länder die Ziele erreicht werden. Mir tun afrikanische Länder zum Teil fast ein bisschen leid, wenn ich mir überlege, wie viele Geber sie haben und wer alles auf sie einstürmt. Daher ist es gut, dass es Organisationen wie UNDP gibt, die manchmal für die Länder die Koordination übernehmen. Und daher ist es auch gut, dass es die Weltbank gibt, die auch größere Projekte entwickeln kann. – Ich sehe unsere Chefin der GIZ. Ich muss ja aufpassen, ob es nun GEZ oder GIZ heißt; aber ich habe mitgelernt. – Unsere GIZ bündelt auch vieles, auch private Aktivitäten, in der Entwicklungszusammenarbeit. Ich glaube, koordinierende Kräfte sind stark gefragt. Das ist dann auch mein zweiter Wunsch: Dass wir lernen, Länder, deren Kapazitäten der Regierungsführung ohnehin schwierig sind, mit vielen guten Anregungen nicht zu überfordern, sondern ihnen die Chance zu geben, das Ganze wirklich zu implementieren. In diesem Zusammenhang werden wir sicherlich auch weiterhin kameradschaftlich und partnerschaftlich Gespräche über gute Regierungsführung führen müssen. Wir haben uns vor kurzem auf dem G8-Gipfel nochmals mit der Sahelzone befasst. Wir haben gesehen, was in Mali passiert ist. Wir ertüchtigen die dortigen Streitkräfte. Wir brauchen nachhaltige – wirklich nachhaltige – Regierungsstrukturen in allen Ländern der Region, damit das, was wir uns als gute Ziele setzen, sozusagen nicht immer wieder mit jedem Regierungswechsel zur Disposition gestellt wird. Da wird man noch sehr, sehr viel zu tun haben. Damit will ich schließen und Ihnen allen für Ihr Engagement danken – und natürlich auch dafür, dass ich eingeladen war. Danke schön. Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Mark Rutte, sehr geehrte Minister aus Deutschland und den Niederlanden, sehr geehrter Kommissar des Königs, Herr Cornielje, sehr geehrte Botschafter, sehr geehrter Rector Magnificus, lieber Herr Professor Kortmann, sehr geehrter Verwaltungsratspräsident, Herr Professor Meijers, verehrte Damen und Herren, Professoren der Universität, Studentinnen und Studenten, die Verleihung einer Ehrendoktorwürde setzt immer auch ein Zeichen des Vertrauens. Deshalb empfinde ich die Verleihung der Ehrendoktorwürde Ihrer Universität als Ehre sowohl für mich persönlich als auch für die Bundesrepublik Deutschland. Ich möchte mich bei Ihnen ganz herzlich bedanken. Diese Ehre wird noch dadurch unterstrichen, dass Sie den 90. Jahrestag der Universitätsgründung in diesen Tagen feierlich begehen. Sie feiern eine außerordentlich erfolgreiche Entwicklung, wie wir an den einführenden Worten erfahren konnten. Ich gratuliere Ihnen zu diesem Jubiläum. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen für die nächsten Jahrzehnte ein Konservatorium wünschen soll; das müssen Sie selbst entscheiden. Aber auch die bisherige Bilanz ist schon ausgesprochen erfolgreich. Ich danke Ihnen dafür, dass ich an den Feierlichkeiten teilhaben darf und dass Sie für den heutigen Festakt diesen wunderbaren Ort, die altehrwürdige Stevenskirche, gewählt haben. In der Tat: ich als protestantische Pastorentochter, Sie als katholische Universität und ein Festakt in einer ökumenischen Kirche – daran lässt sich ein gutes Stück europäischer Geschichte ablesen. Meine Damen und Herren, Vertrauen ist ein hohes Gut. Auch dafür bietet die europäische Geschichte ein großartiges Beispiel mit der europäischen Einigung. Nach Jahrhunderten von Missgunst, Gewalt und schrecklichen Kriegen kostete es großen Mut, Vertrauen zu wagen. Deutschland, das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unsägliches Leid über Europa, auch über Ihr Land, gebracht hatte, durfte das Geschenk neuen Vertrauens erfahren – auch und gerade durch unsere niederländischen Nachbarn. Das werden wir Deutschen Ihnen nie vergessen. Über den Gräbern und Ruinen zweier verheerender Kriege haben sich die Völker Europas einander die Hand der Versöhnung gereicht. Sie gaben sich damals einen Vertrauensvorschuss. Dieser Vertrauensvorschuss hat über Jahrzehnte reiche Früchte getragen. Dank der europäischen Einigung sind aus einstigen Feinden heute verlässliche Partner und Freunde geworden. Dank der europäischen Einigung gelang der gemeinsame Wiederaufbau eines geschundenen Kontinents. Dank der europäischen Einigung schufen weitsichtige Frauen und Männer auf dem Fundament gemeinsamer freiheitlicher Werte ein Gesellschaftsmodell, das wirtschaftlichen Erfolg und soziale Verantwortung vereint. Es ist ein Gesellschaftsmodell, das über Ländergrenzen hinweg von Freizügigkeit und einem regen Miteinander lebt. Das ist besonders in den Regionen unmittelbarer Nachbarschaft wie hier förmlich zu greifen. Für viele in Nimwegen und Kleve ist es jedenfalls ganz selbstverständlich, die Sprache des jeweils anderen zu sprechen, sie zumindest zu verstehen. Tagtäglich überqueren Deutsche und Niederländer die Grenze, um auf der jeweils anderen Seite zu arbeiten, einzukaufen oder Freunde zu besuchen. Wir freuen uns über unzählige Verbindungen – zum Beispiel über junge Deutsche und Niederländer, die an Universitäten im jeweiligen Nachbarland studieren. Allein an der Radboud Universität sind etwa 2.000 deutsche Studenten eingeschrieben. Man studiert nicht nur und bekommt eine hervorragende Ausbildung, sondern jeder Einzelne, der hier studiert und seine Ausbildung bekommt, erfährt auch etwas über die Sprache des anderen, über die Geschichte, die Kultur, die Sichtweisen. Man lernt sich besser kennen, erweitert den eigenen Horizont, knüpft neue Bande, die das vertrauensvolle Verhältnis stärken und bewahren. So wird Schritt für Schritt Europa gelebt. Das Interesse vieler Deutscher für die Niederlande speist sich gewiss auch aus der Tatsache, dass Ihr Land geradezu traditionell Weltoffenheit und Toleranz verkörpert. Die Niederlande stehen für die Traditionen der europäischen Aufklärung. Auch wenn in wenigen Tagen König Willem-Alexander und Königin Máxima zu ihrem ersten Staatsbesuch nach Deutschland kommen, können sie davon ausgehen, dass ihnen die Sympathie vieler Deutscher sicher ist. Schon die Feierlichkeiten zur Amtseinführung von König Willem-Alexander haben viele von uns mit freudiger Anteilnahme verfolgt. Die Verbundenheit unserer beiden Länder findet ihren Ausdruck nun auch in den ersten deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen. Ministerpräsident Rutte und ich sind mit etlichen Mitgliedern unserer Kabinette heute in Kleve zusammengekommen. Lieber Mark, ich danke dir für diese Initiative. Es war ein sehr schönes Erlebnis. Es war vor allen Dingen auch ein wunderschönes Erlebnis, diese deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen in der Grenzregion durchzuführen und gelebte Gemeinsamkeit zu sehen. Herzlichen Dank dafür, dass wir diesen Tag nun auch durch diese Feier hier in Nimwegen ergänzen können. Wir haben heute in unseren Gesprächen bemerkt, dass wir in sehr vielen Überzeugungen – europapolitischen, aber auch in jeweiligen Landesfragen – doch sehr stark übereinstimmen. Wir sind als Nachbarländer nicht nur wirtschaftlich auf das Engste miteinander verflochten, sondern stehen als Nachbarländer auch vor gleichen Herausforderungen. Das sind Herausforderungen, die neues Denken erfordern: Kann man sie besser lösen, wenn man es gemeinsam versucht? Für die politische Zusammenarbeit gilt das Gleiche wie für wirtschaftliche und andere Kontakte: Vertrauen ist die Grundlage erfolgreicher Kooperation. Auch die Wirtschafts- und Währungsunion in Europa hat jahrelang von einem Vertrauensvorschuss gelebt – dem Vertrauen darauf, dass Solidität und Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedstaaten sich einander annähern oder zumindest nicht auseinanderfallen. Dieses Vertrauen hat sich zum Beispiel auch dergestalt geäußert, dass alle Euro-Staaten für ihre Staatsanleihen annähernd gleich niedrige Zinsen genießen konnten. Mit diesem niedrigen Zinsniveau aber gingen die Länder zum Teil sehr unterschiedlich um – mit den heute bekannten Folgen. Damit kam es zu einer Vertrauenskrise in die gemeinsame Währung. Die Schuldenkrise hat uns also gezeigt, wie Fehlentwicklungen in einzelnen Mitgliedstaaten die Wirtschafts- und Währungsunion insgesamt in Schwierigkeiten bringen können. Das Vertrauen der Investoren brach in kürzester Zeit ein, als die Schuldentragfähigkeit einiger Länder in die Diskussion geriet. Da musste Europa handeln. Lieber Mark, wir dürfen heute sagen: Europa hat gehandelt. Wir haben eine Strategie entwickelt, um das Vertrauen in die Wirtschafts- und Währungsunion wiederherzustellen und damit die Europäische Union als Ganzes zu stabilisieren. Aber die Arbeit ist noch nicht ganz getan. Im Kern standen und stehen drei Aufgaben im Vordergrund. Erstens: akutes Krisenmanagement. Es hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, dass europäische Solidarität und nationale Eigenverantwortung Hand in Hand gehen. Wer Reformanstrengungen auf sich nimmt, hat auch unsere Solidarität verdient. Das war und ist unsere Maxime. Zweitens: Es hat keinen Sinn, Krisen – und schon gar nicht solche tiefgreifenden Krisen wie diese – an der Oberfläche zu bekämpfen, sondern es muss um die Bekämpfung der Ursachen gehen. Die Ursachen sind in den einzelnen Ländern durchaus unterschiedlich gelagert. Überhöhte Staatsverschuldung kann ausschlaggebend sein, es können aber auch gravierende Probleme im Bankensektor oder ein Verlust an Wettbewerbsfähigkeit sein. Oft kommen alle Probleme zusammen. Neben den Ursachen in den von der Krise betroffenen Euro-Mitgliedstaaten haben wir es darüber hinaus mit Gründungs- und Konstruktionsfehlern der Wirtschafts- und Währungsunion selbst zu tun. Auch diese Ursache der Schuldenkrise haben wir bekämpft. Das Ziel wird eine wesentlich stärkere wirtschaftspolitische Koordinierung in der Eurozone oder in ganz Europa sein. Das Ziel ist heute schon eine sehr viel stärkere Koordinierung der fiskalischen Disziplin. Denn es geht drittens darum, dass sich solche Krisen nie wiederholen. Deshalb glaube ich, dass sich dann, wenn wir Schritt für Schritt voranschreiten, wenn jeder bei sich zu Hause die Hausaufgaben macht und wir gemeinsam zusammenhalten, wieder Vertrauen in unser Europa gewinnen lassen wird. Ich bin sehr zuversichtlich, dass das gelingt. Ich sage aber auch: Die Krise ist nicht von vorgestern auf gestern entstanden, sie ist über viele Jahre entstanden. Deshalb liegt vor uns in Europa – und das gilt für alle Länder; auch für Deutschland – noch ein langer und durchaus nicht einfacher Weg, zumal sich die Welt um uns herum verändert. Wenn wir erfolgreich sein wollen, wenn wir in Wohlstand leben wollen, müssen wir uns einem fairen Wettbewerb mit den anderen auf der Welt stellen. Das heißt, wir müssen nicht nur Haushaltskonsolidierung betreiben, was ja nichts anderes bedeutet, als nicht auf Kosten der Zukunft zu leben – es ist sowieso verwunderlich, wie es geschehen konnte, dass wir ganz selbstverständlich anders handeln als im Grunde wie jede Familie, indem wir Jahr für Jahr mehr ausgeben als wir einnehmen –, sondern es gilt, auch Wachstum und Beschäftigung zu schaffen. Deshalb sage ich auch hier noch einmal, was ich zu Hause immer wieder sage: Es geht nicht allein um Haushaltskonsolidierung – heute im Allgemeinen „Austerität“ genannt, weil sich das noch etwas schrecklicher anhört – oder allein um Wachstum, sondern es geht darum, auf der Basis solider Finanzen Wachstum zu erzeugen und wettbewerbsfähig zu sein. In den besonders krisengeschüttelten Ländern wird den Bürgerinnen und Bürgern in Europa zurzeit ohne Zweifel sehr viel abverlangt. Das Schwierigste ist, dass eine Generation von jungen Menschen einen Preis für Fehler bezahlen muss, die in der Vergangenheit gemacht wurden. Deshalb müssen wir immer wieder sagen, dass wir überzeugt sind – ich bin es –, dass sich diese Reformanstrengungen lohnen werden und dass wir da, wo wir helfen können, natürlich auch helfen werden. Wir arbeiten deshalb an einer gemeinsamen europäischen Agenda für Wachstum. Wir werden auch gemeinsam nach den besten Wegen suchen, um Jugendarbeitslosigkeit in den europäischen Mitgliedstaaten zu bekämpfen. Sowohl die Niederlande als auch Deutschland haben erhebliche Erfahrungen gesammelt. In Deutschland wissen wir gerade auch aus den Zeiten der deutschen Einigung, wie schwierig es ist, durch eine Phase hoher Arbeitslosigkeit zu gehen. Bei allem, was wir zur Stabilisierung der Wirtschafts- und Währungsunion in Europa tun, wissen wir, dass dies in der Selbsterkenntnis Europas als Schicksalsgemeinschaft geschieht. Deshalb sage ich auch immer wieder: Der Euro ist weit mehr als eine Währung. Europa ist ein Friedenswerk. Für meine Generation ist es selbstverständlich, in Europa ohne Krieg aufgewachsen zu sein und zu leben. Für viele vor uns war es das nicht; und zwar über Jahrhunderte. Wir sind in der Geschichte immer noch im Ausnahmezustand. Hinzu kommt, dass wir in einer Welt leben, in der wir heute über sieben Milliarden Menschen sind. Selbst ein so großes Land wie Deutschland, das über 80 Millionen Einwohner hat, kann allein in dieser Welt von sieben Milliarden Menschen nichts mehr verlangen, bestimmen und erreichen. Aber gemeinsam als Europäer sind wir stark. Wir sind 500 Millionen Menschen. Ich habe heute in Bezug auf die Regierungskonsultationen gesagt: Wir streiten uns manchmal 24 Stunden zum Beispiel über die Frage, ob wir zwischen 2014 und 2020 907 oder 915 Milliarden Euro ausgeben sollen. Das machen wir mit Leidenschaft. Da verzichten wir auch gerne auf Schlaf. Aber worüber wir uns im Allgemeinen in Europa nicht mehr streiten, ist die Frage, dass wir in Demokratien leben wollen, dass wir die Würde jedes einzelnen Menschen anerkennen, dass wir Reisefreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit haben. All das ist selbstverständlich. Darüber muss es keinen Streit geben. Das ist etwas, das wir in die Welt hinaustragen können. Wenn wir das gemeinsam als 500 Millionen Europäer tun, dann tun wir es mit Kraft, mit Überzeugung. Denn wir wissen: In unserer Welt ist es alles andere als selbstverständlich, dass alle Menschen in Würde leben können. Es ist alles andere als selbstverständlich, dass alle Menschen ihrer Religion nachgehen, frei reisen, sich künstlerisch frei betätigen und sagen können, was sie möchten. Den jungen Menschen, auch an dieser Universität, rufe ich zu: Es ist wunderbar, dass wir das alles selbstverständlich haben, aber wir dürfen es nie für selbstverständlich halten. Kämpfen wir also dafür, dass es so bleibt und dass mehr Menschen in Würde und Freiheit leben können wie wir. In unserem deutschen Grundgesetz steht gleich am Anfang – danke dafür, dass Sie auf den 23. Mai hingewiesen haben –, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Die Menschen sind der wahre Reichtum Europas. Deshalb müssen wir auch alles dafür tun, dass die Menschen die besten Chancen bekommen, die möglich sind. Dafür ist es notwendig, dass wir in die Zukunft investieren; das heißt, in Bildung und Ausbildung. Bildung und Ausbildung sind echte Zukunftsinvestitionen. Wir waren uns heute in den deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen einig, dass es wichtig ist, besonders in diese Bereiche zu investieren. „Wir Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union sind zu unserem Glück vereint“ – das haben wir am 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge gesagt. Wir, die Europäer, müssen dieses Glück jeden Tag entwickeln und weiterentwickeln. Dafür müssen wir bereit sein, in die Zukunft und damit vor allem in Wissen zu investieren. Dafür müssen wir bereit sein, uns dem Leistungswettbewerb zu stellen. Dafür müssen wir bereit sein, immer wieder neugierig zu bleiben. Dafür müssen wir bereit sein, Geld zu investieren. Dafür müssen wir auch bereit sein, die Menschen zu ermutigen, das Beste zu geben. Deshalb bin ich dankbar dafür, dass wir dies heute in Deutschland in guter Nachbarschaft mit den Niederlanden tun können. Ich möchte mich auch nochmals dafür bedanken, dass Sie als katholische Universität an der deutsch-niederländischen Grenze die Idee hatten, mir, der Pastorentochter aus dem Nordosten Deutschlands, die Ehrendoktorwürde zu verleihen. Sie haben weit über Ihre Grenzen geblickt. Sie sind wirklich eine europäische Universität. Ich werde mit meinen Fähigkeiten, die ich habe, den Ruhm der Radboud Universität in Nimwegen weitertragen. Ihnen, den Lehrern und den Studentinnen und Studenten an dieser Universität, alles Gute. Herzlichen Dank für diese große Ehre. Sehr geehrter Herr Präsident Schirmbeck, liebe Kollegin Ilse Aigner, liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag und den Parlamenten, Exzellenzen, meine sehr verehrten Damen und Herren, „Schlage nur so viel Holz ein, wie der Wald verkraften kann! So viel Holz, wie nachwachsen kann!“ – Kürzer und anschaulicher kann man Nachhaltigkeit kaum erklären. In dieser Forderung gipfelte das eben schon angesprochene Plädoyer des sächsischen Oberberghauptmanns Hans Carl von Carlowitz für einen, wie er es nannte, „nachhaltenden“ Umgang mit den Wäldern. – Ich vermute, dass das dem Oberberghauptmann recht logisch erschien und er insofern vielleicht nicht dachte, dass wir uns 300 Jahre später immer noch so viel mit solchen eigentlich logischen Weisheiten und Wahrheiten herumschlagen müssen. Es ist ein Anspruch, der kurz und bündig im Jahre 1713 formuliert, auch nach 300 Jahren aktuell geblieben ist. Nachhaltiges Handeln ist für Sie, die Förster und Waldeigentümer, ein bewährtes Prinzip, was man nicht von allen Tätigkeitsbereichen in Deutschland und in der Welt sagen kann. Sie wissen, dass Ihre Freude an der Forstwirtschaft, am Wald, am Waldbesitz nur dann wirklich anhaltend sein kann, wenn Sie sich an diese Weisheiten und Wahrheiten von Hans Carl von Carlowitz halten. Über Ihr Gebiet hinaus ist Nachhaltigkeit heute zu einem Überlebensprinzip für einen Erdball geworden, auf dem immer mehr Menschen leben, auf dem immer mehr Menschen in Wohlstand leben wollen und dazu immer mehr Rohstoffe ausbeuten, aber sich gerade deshalb an Ihr Prinzip in der Forstwirtschaft erinnern sollten. Mit meiner Anwesenheit hier drücke ich auch meine Anerkennung für Ihre Arbeit aus und übermittle Ihnen einen herzlichen Gruß der Bundesregierung, die nicht nur durch mich, sondern eben auch durch Ilse Aigner hier vertreten ist, weil wir um Ihre verdienstvolle Arbeit wissen. Wald und Forst – das ist weit mehr als nur die Ansammlung von einigen Kubikmetern Holz, sondern Wald ist gerade für uns Deutsche auch etwas, das sehr viel mit Heimat zu tun hat. Deshalb geht es bei der Forstwirtschaft, was die Emotionalität anbelangt, auch weit über das Wirtschaftliche hinaus. Das Jubiläumsjahr 2013, 300 Jahre nach 1713, bietet uns nun in besonderer Weise einen Anlass dazu, uns den Kern, aber auch die Dimensionen des Begriffs Nachhaltigkeit vor Augen zu führen. Diesem Begriff liegt eine Werteentscheidung zugrunde: Was wir heute tun, darf unseren Kindern und Enkeln die Chance auf ein Leben in Wohlstand und einer intakten Umwelt nicht schmälern. – Das, was beim Forst im Familienbesitz wie eine Trivialität anmutet, ist aber, wenn man sich einem bestimmten Besitz nicht so verpflichtet fühlt, in einer Gesellschaft immer wieder neu zu erlernen. – Dieser Leitlinie zu folgen, bedeutet nicht weniger, als wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soziale Verantwortung und den Schutz natürlicher Lebensgrundlagen miteinander zu verbinden. Die Forstwirtschaft war, ist und bleibt ein hervorragendes Beispiel, um die verschiedenen Aspekte der Nachhaltigkeit darzustellen. Von Carlowitz ging es damals um die Zukunft des sächsischen Silberbergbaus. Zum Einschmelzen der Erze brauchte man genug Brennstoffe; und das war damals Holz. Deshalb sollte in einem Zeitraum nur so viel Holz eingeschlagen werden, wie innerhalb dieses Zeitraums auch wieder nachwachsen konnte – allem Gewinnstreben im Silberbergbau zum Trotz. Man kann sich ja vorstellen, welcher Versuchung man da ausgesetzt war. Später wurde Holz als Energieträger zunehmend von Kohle und Öl verdrängt. Heute aber stellen uns Klimawandel und begrenzte fossile Ressourcen vor neue Herausforderungen. Um auch zukünftigen Generationen Handlungsspielräume zu erhalten, ist ein Umsteuern in der Energiepolitik unabdingbar. Hierbei sind die Schlagworte „erneuerbare Energien“ und „Energieeffizienz“ zu nennen. Wir erleben nun, dass Holz geradezu eine Renaissance erlebt. Rund 35 Prozent der gesamten erneuerbaren Endenergieerzeugung in Deutschland basieren heute auf dem Rohstoff Holz. Man merkt manchmal auch an der Preisentwicklung, dass da etwas im Gange ist. Holz dient im Wesentlichen zur Wärmenutzung. Hier ersetzt es in hohem Maße die klimaschädliche Verbrennung fossiler Rohstoffe. Ob als Energieträger oder als Rohstofflieferant für Hausbau, Möbel und Papier – angesichts der vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten wächst die Nachfrage nach Holz. Das macht den Wald zu einem bedeutsamen Wirtschaftsfaktor, der eben auch Arbeitsplätze sichert und erheblich zur Wertschöpfung in den ländlichen Räumen beiträgt. Gerade das Chancengleichgewicht zwischen ländlichen und städtischen Räumen ist für uns ein großes Thema – und das wird es für uns auch in den nächsten Jahren sein, wenn wir über den demografischen Wandel sprechen. Das heißt, in der heutigen Zeit nehmen die Herausforderungen für eine multifunktionale Forstwirtschaft zu, die ökonomische, ökologische und soziale Aspekte gleichermaßen berücksichtigt. Als Ökosystem produziert der Wald Sauerstoff, speichert Feuchtigkeit, bewahrt Böden vor Erosion und schützt Siedlungen vor Lawinen. Der Wald als Kohlenstoffspeicher ist ein hervorragender Klimaschützer. Er ist wichtiger Lebensraum für unzählige Tier- und Pflanzenarten, ist also auch bedeutsam für die Biodiversität, die auch bei uns sehr zu beachten ist. Das heißt, intakte und artenreiche Waldökosysteme sind eine Versicherung für die Zukunft. Deshalb will ich an dieser Stelle gleich einfließen lassen, da ich manchmal auch kritische Töne höre wie etwa: Schön, dass Sie all diese Sonntagsreden halten; noch schöner wäre es, wenn Sie unsere Wünsche auch wirklich berücksichtigen würden. Ich habe gerade mit Bundesministerin Aigner zum Beispiel über das Thema Kompensationsverordnung gesprochen. Ich habe neulich den Präsidenten der Waldbesitzer sagen hören, dass, gerade was die Durchleitungsrechte für neue Energietrassen anbelangt, durchaus noch Unzufriedenheit besteht. Ich habe heute Morgen auch noch einmal mit dem Kanzleramtsminister darüber gesprochen. Wir sind uns der Problematik bewusst. Die Ressortabstimmungen dazu sind schwierig, denn an manchen Stellen betreten wir auch Neuland. Aber gerade Ilse Aigner ist sehr darauf bedacht, dass unseren Worten auch Taten folgen. Wir nehmen das ernst. Ich verstehe auch, dass Sie das einfordern. Gerade die Kompensationsverordnung könnte bald fertig werden. Da ist also Licht am Ende des Tunnels. Meine Damen und Herren, es ist gewiss nicht immer leicht, die verschiedenen Funktionen des Waldes miteinander in Einklang zu bringen. Deshalb ist die Waldstrategie der Bundesregierung mit dem Zielpunkt 2020 sehr wichtig, weil sie Wege aufzeigt, wie die Balance im Hinblick auf Nutzung, Naturschutz und Erholung gewahrt werden kann. Bei allen unterschiedlichen Ansichten zur Waldnutzung und Biodiversität – uns alle eint das gemeinsame Ziel, die nachhaltige Leistungsfähigkeit unserer Wälder zu erhalten. Deshalb glaube ich auch, dass das klare Bekenntnis zum Eigentum an dieser Stelle sehr, sehr wichtig ist. Wir haben ja oft die Diskussion, inwieweit Verantwortlichkeit entstehen kann, wenn Eigentum in Gefahr ist. Ich glaube, Verantwortlichkeit und Eigentum passen, wenn es den Geboten der Nachhaltigkeit entspricht, sehr gut zusammen. Nun wissen wir: Das Gebot der Nachhaltigkeit endet gewiss nicht an unseren Landesgrenzen. Wir tragen als Bundesrepublik Deutschland auch internationale Mitverantwortung. Die direkte Nachfrage nach Tropenholz, nach Soja, nach Palmöl und anderen Agrarprodukten hat gravierende Folgen für eines der wichtigsten Ökosysteme unseres Erdballs: für die tropischen Regenwälder. Indirekte Landnutzungsänderung als Folge von Produktionsanreizen auf globalen Märkten kann zur weiteren Zerstörung und Degradierung von Wäldern führen. Verbunden mit Problemen von Armut und schwacher Regierungsführung führt das oft zu großflächigen Abholzungen von Naturwäldern. Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn man sich mit diesen Themen näher befasst und dazu manchmal auch in Richtung Südamerika oder Südostasien reist, dann blutet einem das Herz. Wir müssen alles tun, um hier Einhalt zu gebieten. Denn hier werden Bereiche vernichtet, die durch nichts wiederbringbar sind. Deshalb ist das unser aller gemeinsame Aufgabe. Nachhaltige Waldbewirtschaftung ist also ein Topthema im internationalen Kontext. Da geht es um Zertifizierungssysteme für Holz und Agrarprodukte oder Maßnahmen gegen illegalen Holzeinschlag. Es war gut, dass wir gerade vor wenigen Tagen im Bundeskabinett eine Novelle des Gesetzes gegen den Handel mit illegal eingeschlagenem Holz verabschiedet haben. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Das Prinzip der Nachhaltigkeit zieht sich durch sämtliche Lebensbereiche. Es betrifft jedes politische Ressort. Deshalb wissen wir, dass das, was wir in der Finanz- und Wirtschaftspolitik zu erreichen versuchen, gerade auch bei Ihnen auf sehr offene Ohren stößt. Denn man kann nicht die Prinzipien der Nachhaltigkeit in der Bewirtschaftung einhalten und gleichzeitig unentwegt auf Kosten der Zukunft leben. Wir haben das leider über Jahrzehnte in Deutschland getan. Ich sage hier auch ganz freimütig: Ich bin immer wieder überrascht, mit welcher Selbstverständlichkeit auch nach der großen Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008/2009 international an vielen Stellen gesagt wird „Hauptsache wir wachsen; egal um welchen Preis“ und dass das Schuldenmachen um des Wachstums willen sozusagen fast zur Pflicht erhoben wird. Dazu kann ich, gerade auch hier in diesem Kreise, nur sagen: Das Ganze ist falsch und langfristig nicht tragfähig. Das war auch der Grund dafür, dass wir in Europa immer wieder auf den Fiskalpakt und auf den Abbau von Haushaltsdefiziten gedrängt haben. Ich will Ihnen auch mitteilen, dass wir im Rahmen der Eurozone eine Halbierung der Defizite in den letzten Jahren erreicht haben. Es ist also nicht so, dass nichts erreicht worden sei. Wir wissen, dass dazu in vielen Ländern Opfer gebracht wurden und werden. Ich glaube aber, langfristig wird sich eine nachhaltige Wachstumsstrategie nicht auf immer mehr Schulden aufbauen lassen – insbesondere, weil wir in vielen europäischen Ländern auch ein anderes Nachhaltigkeitsproblem haben, nämlich das des demografischen Wandels. Deshalb wird das Umsteuern, wenn man länger wartet, nur noch viel schwieriger, als es heute schon ist. Wir sehen ja an der heutigen Situation, dass wir eigentlich schon viel zu lange gewartet haben. Deshalb müssen wir diesen Prozess jetzt auch bewältigen. Damit bin ich auch bei dem, was die Bundesregierung im Rahmen der Demografiestrategie beschäftigt. Für uns ist das Thema Nachhaltigkeit ein Leitprinzip auch bei der Befassung mit dem Thema des demografischen Wandels. Wir sind hier auf einem Weg, der von uns heute für die nächsten Jahre nicht mehr zu beeinflussen ist. Das meine ich in dem Sinne, dass der demografische Wandel stattfindet: Wir werden weniger werden in Deutschland, wir werden vielfältiger werden, weil die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund zunehmen wird, und wir werden im Durchschnitt älter werden. Bei den deutsch-indischen Regierungskonsultationen, die hier in der letzten Woche stattfanden, ist mir noch einmal bewusst geworden: Das Durchschnittsalter in Indien – einem Land mit immerhin über 1,2 Milliarden Einwohnern – liegt fast 20 Jahre unter dem Durchschnittsalter von uns Deutschen. (Zuruf) – Ist das falsch; oder wie? (Zuruf) – Nein, dem Einzelnen sieht man da sowieso nichts an. Ich könnte auch sagen, dass der indische Ministerpräsident im Alter weit vor mir liegt. Dennoch, der Durchschnittswert ist interessant und prägt eben auch – da darf man sich keine Illusionen machen – eine Gesellschaft. Ich erzähle es immer wieder – und will es bei Ihnen noch einmal tun –: Ich hatte einmal an einer Preisverleihung für Hörfunkbeiträge im Zusammenhang mit Migration und Zuwanderung teilgenommen. In einem Beitrag hatte ein Reporter von einem äthiopischen Flüchtling berichtet, der aus einem Callcenter seine Mutter anrief. Die Mutter hatte eine Sorge, nämlich dass es dem Jungen in Deutschland zu kalt sei. Dieser aber sagte: „Ach Mutter, mach dir keine Sorgen darüber; damit komme ich klar. Aber eines kann ich dir sagen: Hier sitzen so viele alte Menschen auf den Bänken, hier würdest du gar nicht auffallen.“ Das hat mir einmal mehr gezeigt, wie unterschiedlich der Blick auf die gesellschaftlichen Gegebenheiten in Äthiopien und in Deutschland ausfallen kann. Wir sollen und können den demografischen Wandel durchaus als Chance begreifen, aber wir müssen uns darauf einrichten. Insofern ist es wichtig, dass wir dies als Querschnittsaufgabe, als Gemeinschaftsaufgabe verstehen und den Erfordernissen der Nachhaltigkeit mehr entgegenkommen. Die Forstwirtschaft steht bis heute wie kaum eine andere Branche für gelebte Nachhaltigkeit. Albert Einstein soll einmal gesagt haben: „Holzhacken ist deshalb so beliebt, weil man bei dieser Tätigkeit den Erfolg sofort sieht.“ – Kommt darauf an, ob am Holzstück oder an der eigenen Hand; aber das lassen wir jetzt einmal dahingestellt. – Das ist richtig; aber in einer Politik der Nachhaltigkeit geht es eigentlich um das Bohren sehr dicker Bretter. Deshalb erhoffe ich mir – auch deshalb bin ich heute gerne zu Ihnen gekommen – von Ihrer Tätigkeit eine Ermunterung. Ihre Branche lebt schon seit 300 Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit. Sie sind unter dem Strich gut damit gefahren und damit eine Gruppe in der Bevölkerung, eine Gruppe in der Gesellschaft, die sagen kann: Lasst euch auf keine Experimente ein, sondern befolgt den Grundsatz von vor 300 Jahren. Deshalb: Alles Gute für das nächste Jahrhundert und erst einmal heute gute Beratungen und herzlichen Glückwunsch dafür, dass Sie in Ihrer Branche so gute Vorfahren hatten. Alles Gute.